Christian Rainer: Einmal vom Islam zum Terror und retour

Wie sieht der Zusammenhang aus (so es ihn gibt)?

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Titel und Vorspann dieses Kommentars berühren die zentrale politische Agenda unserer Tage, und sie reflektieren auch zwei Diskussionen, die wir am vergangenen Freitag frühmorgens und am späten Nachmittag in der profil-Redaktion führten. Ich erzähle Ihnen von diesen Diskussionen, weil sie jenes Problem paradigmatisch umreißen und vielleicht, auch irgendwo versteckt, die Lösung.

Wir hatten für diese Ausgabe eine Titelgeschichte vorbereitet unter der Headline „Was dürfen Muslime?“. Am Freitag mussten wir auf den Anschlag von Nizza reagieren. Ein abwägendes Stück über die soziokulturellen Herausforderungen der Integration unter besonderer Berücksichtigung des Islam – das wäre für die aktuelle Ausgabe falsch: Es wäre in seiner Zurückgelehntheit journalistisch nicht à jour gewesen. Vor allem aber wären unsere Verhaltensregeln für Muslime zeitnah zum Massenmord durch einen Franzosen tunesischer Herkunft komplett off oder zynisch rübergekommen.

Wir haben uns bemüht, die Verbindung zwischen einem mörderischen Franzosen mit muslimischem Hintergrund und den Muslimen in Österreich zu kappen

Was tun? Einen chronikalen Nizza-Cover machen? Den ursprünglichen Cover einstampfen oder schieben oder irgendwo im Heft verräumen? Beide Texte verbinden?

Es wurde noch komplizierter. Bei unserer morgendlichen Ad-hoc-Konferenz beschlossen wir nämlich, einen Zusammenhang herzustellen und beide Geschichten gemeinsam auf den Titel zu stellen. So etwa: „Ihre Ziele: Was Terroristen wollen. Unsere Antwort: Was Muslime dürfen.“ Das war eine kluge Idee. Unter der Voraussetzung, dass in Nizza ein Terrorist zugeschlagen hatte, wie es der französische Präsident und sein Innenminister kommuniziert hatten.

Nachmittagskonferenz: Da sah die Welt etwas anders aus. Denn zu diesem Zeitpunkt gab es keine Belege für einen islamistischen Hintergrund, vielmehr wurde von Nachbarn berichtet, der „Attentäter“ habe nicht einmal gebetet und auch nicht gefastet. Ein Amokfahrer, wie jener in Graz vor Jahresfrist, nur zufällig Muslim? profil wurde in der Folge ein weiteres Mal komplett umgebaut, die Geschichten wurden entflochten, ein bereits produziertes Video für profil.at wurde gekübelt. Auf der Titelseite sehen Sie nun zwei Geschichten: Wir haben uns bemüht, die Verbindung zwischen einem mörderischen Franzosen mit muslimischem Hintergrund und den Muslimen in Österreich zu kappen.

Gibt es eine Häufung von derartigen Gewaltexzessen bei Menschen, die in einem kulturellen Umfeld aufwachsen, das Gewalt nicht prinzipiell ächtet, sondern partiell hochachtet?

Ich denke, es ist offensichtlich, warum ich die Abwägungen in der profil-Redaktion im Rahmen eines Leitartikels schildere. Die wechselnde Meinungslage ist ein Spiegelbild des unklaren Bildes, das die Welt von der amorphen Masse der Muslime hat, auch von Migranten erster, zweiter, dritter Generation. Wenn ein Magazin wie profil sich damit beschäftigt, mag zwar unser Blick auf die Fakten ein schärferer sein. Aber die Rezeption unserer Veröffentlichungen ist dennoch nicht einzuschätzen: wenn wir voreilig oder unklar oder auch zu präzise urteilen.

In jenem Video etwa, das ich erwähnte, sprach ich mit meinen Kollegen Edith Meinhart und Christoph Zotter darüber, ob der Islam ein fruchtbarer Boden für terroristische Entwicklungen ist, fruchtbarer als das Christentum oder der Atheismus. Ich meine, das ist er, und ich denke, das kann man auch aus Meinharts Geschichte in diesem Heft herauslesen, auch aus jener von Christa Zöchling über den Prozess gegen den Grazer Hassprediger. Und ich weigere mich, diese Aussage als Pauschalverdacht qualifizieren zu lassen. Wenn sich etwa ein führender Repräsentant deutscher Muslime im deutschen Fernsehen empört vom Terror distanziert und diesen mit einem „Tropfen Gift in einem Wasserglas“ vergleicht, zugleich aber seine „klare Präferenz für einen Gottesstaat gegenüber der Demokratie“ äußert, dann wird mir schlecht: Dieser Mann ist nicht nur fruchtbare Erde, er ist Dünger für eine gewalttätige, freiheitsraubende, rückwärtsgewandte Welt – mitten in Deutschland.

Hat ihr muslimischer Glaube etwas mit ihren Taten zu tun?

Andererseits: Wenn die Briten als Gründe für ihr Brexit-Votum in dieser Reihenfolge Migration, Islam, Terror nennen und dann erst Brüssel, dann ist die Basis dieser Entscheidung fatal wie der Austritt selbst. Die Kausalitätskette ist in dieser Gliederung nicht belastbar.

Und wie steht es nun um den mordenden Lastwagenfahrer in Nizza (falls er nicht ohnehin Islamist ist) oder auch um den Amokfahrer von Graz? Hat ihr muslimischer Glaube etwas mit ihren Taten zu tun? Oder sind das wirklich nur Psychopathen?

Gibt es eine Häufung von derartigen Gewaltexzessen bei Menschen, die in einem kulturellen Umfeld aufwachsen, das Gewalt nicht prinzipiell ächtet, sondern partiell hochachtet? Ich denke ja.

Und wie viele Generationen braucht es, bis sich jemand der epigenetischen Übertragung entwindet, wenn mit dieser Tradierung das Weltbild eines orthodoxen Islam weitergegeben wird? Ich fürchte viele.