Christian Rainer: Mit 31 Jahren, da fängt das Leben an

Landbauer und Kurz. Die Regierung ist in der Gegenwart der Vergangenheit angekommen. Der Geschichtslosigkeit einer Generation wird ein Gesicht gegeben.

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ch bin überrascht. 1987 wurde ich wegen Kurt Waldheim Journalist. Ich hatte ein nachhaltiges Bedürfnis, meinen inneren Widerstand gegen diesen NS-Verharmloser in einen äußeren zu verwandeln. Satte 31 Jahre später begegnet mir dasselbe Thema wieder: in der Person des 31-jährigen Udo Landbauer, FPÖ-Spitzenkandidat für Niederösterreich und um 68 Jahre jünger als Waldheim. Landbauer hat, wie profil am 22. Jänner berichtete, einen rechtsextremen Verein unterstützt und für ein Buch mit Nazi-Liedgut geworben. Er gehört, wie der „Falter“ in seiner Ausgabe vom 24. Jänner schreibt, einer Burschenschaft an, deren Liederbuch den Holocaust verherrlichende Texte enthält. Er ist wie Waldheim nicht zurückgetreten.

Ich bin überrascht, dass in diesem Zusammenhang von „Antisemitismus“ gesprochen wird. „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen noch die siebte Million“ – zu vergasende Juden nämlich, so eine Zeile in jenem Liedwerk – unter Antisemitismus zu subsumieren, ist eine Themenverfehlung; es ist eine grob fahrlässige Verharmlosung der Verbrechen des Hitler-Regimes.

Ich bin überrascht, dass 72 Jahre nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus noch jenem Weltbild nachgesungen wird, das vermeintlich 1945 im eigenen Schutt und in eigener Asche versunken ist. Meine Überraschung ist naiv, hat doch dieses Magazin unaufhörlich von jenem Gedankengut der Burschenschaften berichtet, teils in hintere Kammern ihrer Buden verräumt, teils heimlich gepflogen, teils offen zur Schau getragen. Ich bin naiv, hat doch dieses Magazin den Lieblingsmaler des damaligen Präsidentschaftskandidaten und nunmehrigen Ministers Norbert Hofer bloßgestellt: Odin Wiesinger, der mit Hingabe Heldenporträts deutscher Landser malt und schlagende Burschenschafter vor großdeutschen Landkarten verherrlicht.

Ich bin überrascht, dass die braune Erde bereits wenige Wochen nach Antritt dieser Regierung ausapert. Offensichtlich fehlt es mir an Vertrauen in meine eigenen Gedanken, die ich im Leitartikel der vergangenen Woche zu Papier gebracht hatte: „Unter den Personen, die nun auf allen Ebenen die Macht ergreifen, sind jene der FPÖ nahestehenden Personen, deren Weltbild eine Antithese zum Geschichtsbild der Zweiten Republik darstellt: die Relativierer des Nationalsozialismus, die Feinde des antifaschistischen Geschichtsbewusstseins, die Vertreter eines deutschzentristischen Volksbildes.“ 18 der 51 FP-Nationalratsabgeordneten, ein gutes Drittel, fast die Hälfte der Männer, gehören einer „völkischen“ Verbindung an – plus die Hälfte der männlichen Minister.

Udo Landbauer ist das Symbol dessen, was sich Sebastian Kurz mit der FPÖ eingehandelt hat.

Ich bin überrascht, wie oft die Verteidigungslinie der Burschenschafter gehalten hat: die Behauptung, dass die Verbindungen im Hitler-Regime aufgelöst worden waren. Im Lichte der neuen Enthüllungen lässt sich vermuten, dass weder überbordender Philosemitismus noch Bedenken gegenüber „Anschluss“ und Angriffskrieg der Grund gewesen sind, sondern Freiwilligkeit und das Führerprinzip.

Ich bin überrascht über den FPÖ-Politiker Herbert Kickl. Bin ich einmal mehr naiv, wenn ich denke, die Zuweisung aller Kritik an eine „linke Meinungsdiktatur“ kann angesichts der Verhöhnung von Millionen jüdischer Hitler-Opfer nicht auf fruchtbaren Boden fallen? Stand Kalkül hinter der Wortwahl „konzentriert“ mit Bezug auf die Massenunterbringung von Asylwerbern? Mir erscheint das plump, aber der Erfinder einiger der plumpesten Wahlkampfslogans hat es ja zum Innenminister gebracht.

Ich bin auch überrascht über Herbert Kickl als Innenminister. Wenn der Herr über die Polizei in laufende Ermittlungen eingreift, indem er eben solche Ermittlungen gegen seinen Parteifreund Landbauer „für ziemlich ausgeschlossen“ hält, dann bewegen wir uns außerhalb des Verfassungsbogens. Hier nimmt die Regierung Einfluss auf ein Verfahren.

Vor allem aber: Ich bin überrascht, wie ein 31-Jähriger zum bisher größten Problem eines 31-Jährigen werden konnte. Der Geschichtslosigkeit einer Generation wurde ein Gesicht gegeben. Udo Landbauer ist das Symbol dessen, was sich Sebastian Kurz mit der FPÖ eingehandelt hat. Das Nachaußenwenden des inneren Vertrauensverhältnisses, der bildgerechte Schulterschluss, das Ausblenden der Natur des Koalitionspartners, der klamme Hinweis auf das Strafgesetz als einzig gültige Instanz, all das reicht jetzt nicht mehr. Wie fühlt man sich, wenn die Stimmung von Blümchen auf Kornblume dreht; fühlt man sich? Was sagen Familie und Freunde zur „siebten Million Juden“? Diese Regierung und ihr Kanzler sind in der Gegenwart der Vergangenheit angekommen.

[email protected] Twitter: @chr_rai