Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Legalize Scharia!

Legalize Scharia!

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Wenn der Botschafter der Vereinigten Staaten in Österreich die oben stehende Zeile liest, dann muss er handeln. Dass der Herausgeber des wichtigsten österreichischen Nachrichtenmagazins den Staat, den William C. Eacho hier vertritt, einer Straftat bezichtigt, kann er doch nicht so einfach auf sich sitzen lassen. Er sollte mich oder die Eigentümer dieser Publikation zumindest kontaktieren und dann argumentieren: Keinesfalls brechen die USA ein Gesetz, wenn sie mit dem Überwachungsprogramm Prism die private Kommunikation von hunderten Millionen Internetnutzern weltweit absaugen, speichern und analysieren. Eacho sollte erklären, dass dieses Vorgehen gar nicht kriminell sein könne, da es durch ein Gesetz ausdrücklich erlaubt sei, durch FISA, den Foreign Intelligence Surveillance Act, der die Auslandsspionage der USA regelt, ein Gesetz, das überdies durch ein eigenes Gericht umgesetzt und überwacht werde. Eacho könnte im Gegenzug erklären, dass ich selbst mich einer Straftat schuldig machte, wenn ich die Vereinigten Staaten einer Straftat bezichtige, die das Land nicht begangen hat, dass ich somit den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllte.

Vermutlich wird Botschafter Eacho weder das eine noch das andere tun, sich nicht von einem Schreiberling in einem Zwergenstaat aus der Reserve locken lassen, allenfalls einen Leserbrief verfassen, vielleicht sogar eine Anfütterung in der Botschaft vorschlagen (bei deren Betreten Essensgäste übrigens mit harschem Hinweis auf nicht weiter zu erläuternde Vorschriften stets ihr Handy abgeben müssen).

Was die Geheimdienstler in der Botschaft – ja, selbstverständlich gibt es dort haufenweise US-Spione – vielleicht tun werden: Sie werden eine kurze Notiz über die kritische Meinung österreichischer Journalisten in Richtung Washington schicken. (Mr. Spy, please don‘t miss our story
starting on page 56, where we qualify Prism as scandalous and your country out of its mind!) Und vielleicht wird via Prism, legitimiert durch FISA und ausgeführt von der National Security Agency NSA, mein Mailverkehr der vergangenen 1000 Jahre nach Auffälligkeiten durchwühlt. (Sorry guys, I am neither on Facebook nor on Twitter – and my mail friends Noomi and Lola on Google Mail are not two clumsily encrypted Russian contact persons but my underage daughters.) Aber vermutlich überschätze ich uns maßlos, wenn ich glaube, dass sich die NSA für profil interessieren könnte. Andererseits …

Jedenfalls bleibe ich dabei: Was die USA tun, muss aus Sicht Europas und nach Maßgabe unseres Rechtsverständnisses ein krimineller Akt sein. Edward Snowden andererseits, ein ehemaliger NSA-Berater, der die ganze Sache bekannt gemacht hat, wird von den Autoren der genannten profil-Geschichte zu Recht als „Held“ bezeichnet. Chuzpe: Snowden wird mit Sicherheit früher oder später, aber jedenfalls für immer hinter Gittern landen.

Die potenzielle Argumentation eines US-Botschafters und tatsächliche Rechtfertigung des US-Präsidenten, dass die globale Bespitzelung auf Basis von Gesetzen passiere, ist schon formal kaum zu halten: So hat NSA-Chef Keith Alexander mehrfach gelogen, als er auf Fragen antwortete, dass keine Daten über Amerikaner gespeichert würden. Stimmt nicht. Vor allem aber ist die Argumentation inhaltlich untragbar. In gleicher Weise könnten die USA und jeder andere Staat nämlich auch alles nur Denkbare auf eine scheinbar rechtskonforme Basis stellen. Was spräche zum Beispiel dagegen, dass ein Gesetz jedem US-Bürger die vorsorgliche Tötung seiner Nachbarn erlaubt, wenn er diese für gefährlich hält? Ein durchaus vergleichbares Gesetz gibt es ja schon: Es gestattet die Tötung von des Terrorismus verdächtigen Personen ohne Gerichtsverfahren und wurde unter Barack Obama fast 400 Mal exekutiert.

Apropos Gericht: Jenes Gericht, das die Anwendung des Foreign Intelligence Surveillance Act überprüft, der wiederum die globale Bespitzelungsaktion erlaubt, ist ein Geheimgericht. Noch Fragen?
Nein, aber vielleicht eine Anregung: Was spricht dagegen, dass die USA heimlich beschließen, bei Bedrohung der nationalen Sicherheit jede weltweit gebräuchliche Gesetzesnorm einsetzen zu dürfen – und ein US-Geheimgericht dann die Scharia gegen kritische österreichische Journalisten anwendet? Oder gleich eine gesundheitsunbekömmliche Fatwa verhängt?

Nach der Logik der Amerikaner über Legalität spricht nichts dagegen.

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