Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Lercherlblähungen

Lercherlblähungen

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Vor einigen Tagen wollte ein ehemaliger Spitzenpolitiker mit Rückkehrpotenzial die Frage diskutiert wissen, ob er wohl rücktrittsreif gewesen wäre, hätte man ihn beim Schwarzfahren erwischt. Mein „nein, aber fast“ überraschte ihn, und mich überraschte, dass es ihn überraschte. Die unterschiedlichen Auffassungen beruhten offensichtlich auf zwei abweichenden Wertungen: einerseits auf der Gewichtung eines derartigen Vergehens und andererseits auf der Beantwortung der Frage, ob Politiker strengeren Maßstäben entsprechen müssen als gemeine Bürger. Mein Gesprächspartner schien besonders verwundert, ja eigentlich verärgert darüber, dass ich mit Selbstverständlichkeit eine Vorbildfunktion und damit höhere Ansprüche für jemanden wie ihn postulierte, während ich Fahrlässigkeit oder auch einen Vorsatz beim Schwarzfahren für ein öffentliches Verkehrsmittel für einigermaßen verkraftbar erklärte.

Spannend an diesem Dialog wie vielen ähnlichen: Es gibt offensichtlich keinen Konsens über richtiges und falsches Verhalten und mögliche Abweichungen von diesen Normen bei Personen des öffentlichen Lebens. Oder einfacher ausgedrückt: darüber, was ein Rücktrittsgrund ist und was bloß eine Lercherlblähung.

Christian Wulff ist am Freitag der vergangenen Woche auf Basis beider genannten Kriterien zurückgetreten, ja der Sachverhalt ist geradezu beispielhaft für das Zusammenwirken dieser Komponenten: Die Staatsanwaltschaft Hannover hatte die Handlungen des Bundespräsidenten derartig gravierend bewertet, dass sie die Aufhebung seiner Immunität wegen des Verdachts der Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung beantragte. Und das deutsche Staatsoberhaupt – mit seinen geringen faktischen Einflussmöglichkeiten – ist der Prototyp eines Politikers, der seine Macht in der Vorbildwirkung gründet. Daher musste er gehen.

Naheliegende Frage: Würde ein österreichischer Spitzenpolitiker den Hut nehmen, nur weil er sich da und dort ein wenig hat einladen und heimlich finanzieren lassen (lange bevor er ein solches Amt mit Supervorbildfunktion innehatte), weil er mit der Story hernach nicht gleich herausrücken und die Berichterstattung einer Zeitung, sagen wir der „Krone“ oder „Österreich“, beeinflussen wollte?

Ein Lercherlschas, nicht wahr? Da übersteht man in Österreich anderes unbeschadet: Website-Finanzierungen, Upgradings für die ganze Familie, Urlaubseinladungen auf Yachten und mit Fliegern jeder Bauart, Steuervergehen, Beschimpfungen ausländischer Politiker, Einschüchterung und Bedrohung von Journalisten (Ich verfüge über eine umfangreiche Sammlung), von Antisemitismus & Nazi-­Sagern ganz zu schweigen – all das verbunden mit lächerlichen Rechtfertigungen post festum.
Das belegt und dazu passt eine Umfrage von Eurobarometer aus der vergangenen Woche: Österreich gehört zu jener kleinen, von Osteuropa dominierten Gruppe an EU-Staaten, in denen über 80 Prozent der Bevölkerung Korruption als ein Hauptproblem identifizieren. In Deutschland sind es 56 Prozent. Die Vermutungen der Befragten zu den Gründen der angenommenen Korruption: „mangelnde Transparenz und Überwachung bei der Finanzierung der politischen Parteien“ sowie „die enge Verflechtung zwischen Politik und Unternehmen“.

Das sitzt, und es sitzt genau in Österreich. Schließlich ist es exakt die Offenlegung der Parteienfinanzierung, gegen die sich Politik und Unternehmen seit Jahrzehnten wehren. Das einschlägige Gesetz gibt sich entsprechend lächerlich. Und auf die nun in Arbeit befindliche Neufassung der Bestimmungen mag hoffen, wer noch immer nicht verstanden hat, worin Korruption im Regelfall besteht: nicht in spektakulärem Unterschleif, sondern in eben jener engen Verflechtung zwischen Politik und Unternehmen.

Niemals vergessen: Was derzeit rund um Telekom oder Buwog nach oben geschwemmt wird, sind nur Zufallsprodukte einer Finanzkrise, die zum Zusammenbruch der Immofinanz und in der Folge zu Zufallsfunden geführt hat. Die geschilderte Kleinklüngelei, die Lercherlblähungen sind immer und überall. Erst in der Summierung vergiften sie die Luft im Lande.

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