Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Rechte Kinder

Rechte Kinder

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Ich wurde im Dezember 1961 in Gmunden geboren, meine Kindheit und Jugend habe ich am anderen Ende des Traunsees verbracht – in Ebensee, jenem ärmlichen Industrieort, der vergangene Woche einen spektakulären Beitrag zum Umgang Österreichs mit seiner Vergangenheit geliefert hat: Fünf Einheimische zwischen 14 und 17 greifen französische und italienische Überlebende des KZ Ebensee bei einer Gedenkfeier im Lagerstollen an und skandieren Nazi-Parolen.

Altnazis gab es in Ebensee immer, und es gibt sie noch heute. Allerdings wurde das nie totgeschwiegen. Vielmehr war die Gruppe nach meiner Erinnerung klar definiert und in gewisser Weise ab- und ausgegrenzt. Da konnte es schon passieren, dass ein Gast, der alte Lieder zum Besten geben wollte, aus einem Wirtshaus geworfen wurde. Eine derartige öffentliche Konfrontation der entgegengesetzten Welten ist in Österreich eher die Ausnahme. Sie hängt damit zusammen, dass Ebensee eine tiefrote Gemeinde ist. Politischer Anstand hat hier klar erkennbare Umrisse.
Daher gibt es dort einen KZ-Friedhof, der schon in den sechziger Jahren nicht versteckt, sondern mit einem großen Wegweiser ausgeschildert war, und später wurde auch ein Zeitgeschichte-Museum eingerichtet. Insofern hat Bürgermeister Herwart Loidl schon Recht, wenn er sagt: „Wahrscheinlich hat gerade unser Engagement Ebensee für die Rechten interessant gemacht.“ Unter dem Lindwurm in Klagenfurt „Heil Hitler!“ zu rufen wäre für rebellierende Kinder tatsächlich weniger interessant gewesen und hätte seinen Weg vielleicht nicht einmal in die Medien gefunden.

Ich fahre oft in meine Heimat. Als ich vor einem Monat in Gmunden war, parkte ich mein Auto mitten in der Stadt. Am nächsten Morgen war ein riesiges Hakenkreuz in die Motorhaube gekratzt. Die Polizei nahm den Vorfall auf. Allerdings ließ mich der freundliche junge Beamte wissen, dass er nur „mit einiger Fantasie“ ein Hakenkreuz erkennen könnte. Was hätte man sonst erkennen können? Für das Kruzifix eines leidenschaftlichen Klerikalen oder das Additionszeichen eines betrunkenen Mathematikers waren da vier Striche zu viel.

Das raue Ebensee mit der Wasserscheide zwischen Braun und dem Rest ist nicht Österreich, dafür ist es zu übersichtlich. Das liebliche Gmunden, wo stets weit über dem Durchschnitt FPÖ gewählt wird, ist es schon: Da bleiben die Grenzen fließend, da will niemand wissen, was der andere am Ende seines politischen Horizonts denkt. An diesem Fehlen weltanschaulicher Präzision krankt Österreich, und die Bakterien bekamen über die Jahre reichlich Nährlösung.

Wenn etwa Maria Fekter zu dem Vorfall in Ebensee neben der standardisierten Verurteilungsfloskel sagt, „die gegenseitigen Provokationen sind im Vormarsch“, dann ist das zweierlei. Einerseits ist es ein ungeheuerlicher Skandal, dass die Innenministerin offensichtlich versucht, die schamlose Attacke gegen eine „Provokation“ durch Erinnerung an den Holocaust aufzurechnen. Eine andere Interpretation ihrer Worte finde ich nicht. Andererseits betreibt sie damit genau jenes Abwiegeln, das jede Klarheit tötet, um so erst recht dem Extremen eine Daseinserlaubnis zu erteilen.

Hier fügt es sich gut ein, dass vergangene Woche eine Studie des SORA-Instituts über das Wahlverhalten der 16- bis 24-Jährigen publik wurde. Demnach kamen bei den vergangenen Nationalratswahlen SPÖ und ÖVP gemeinsam auf nicht mehr Stimmen als FPÖ und BZÖ. Die Interpretation dieser Entwicklung durch die Wissenschaft entspricht dem, wovor profil seit dem Jahr 2000 warnt: vor den Auswirkungen des Tabubruchs von Wolfgang Schüssel. Die Forscher, zitiert im „Kurier“: „Rechte Parteien sind für die Jungen gewöhnliche Parteien, weil sie zwischen 2000 und 2006 in der Regierung waren.“

Demnach ist für die Jungen also auch „gewöhnlich“, dass jemand an Wehrsportübungen teilnimmt, mit Neonazis verkehrt, die Hand zum eigenartigen Gruß hebt und dann Parteichef wird. Ebenso ist es „gewöhnlich“, dass ein österreichischer Nationalratspräsident Mitglied einer rechtsextremen Burschenschaft ist und Mitarbeiter verteidigt, die bei einem rechtsextremen Versandhandel Produkte mit Nazi-Symbolen bestellten.
Daher hat die SP-Geschäftsführerin Laura Rudas schon Recht, wenn sie in einem Kommentar schreibt, die Ebenseer Jugendlichen seien „auch Opfer, denn sie haben seit ihrer Geburt erlebt, dass es scheinbar ganz normal ist beziehungsweise ,zur Demokratie‘ gehört, wenn eine rechtsextreme Gesinnung öffentlich ausgelebt wird“. Freilich greift Rudas zu kurz, da sie den Tabubruch durch ihren Koalitionspartner ÖVP unerwähnt lässt, ebenso wie die Tatsache, dass fast alle SPÖ-Abgeordneten Martin Graf zum „gewöhnlichen“ Politiker machten, indem sie ihn zu ihrem Dritten Präsidenten wählten.

Bürgermeister Herwart Loidl sagte nach dem Vorfall in Ebensee, dass es sich dabei keinesfalls um einen „Lausbubenstreich“ handelte und er auf eine „entsprechend harte“ Bestrafung hoffe. Ein tapferer Satz, der leider nicht stimmt. Es war sehr wohl ein Lausbubenstreich – allerdings österreichischer Prägung. Als was sonst sollen fünf Ebenseer Jugend­liche ihre Tat sehen, da in diesem Land doch Lausbuben höchste Ämter in Parteien, Parlament und Regierung bekleiden dürfen?

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