Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Sarrazin hat Recht

Sarrazin hat Recht

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Thilo Sarrazin hat ein neues Buch geschrieben. Es heißt ­„Europa braucht den Euro nicht“. Wie im Jahr 2010, als er „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlichte, ist die Aufregung auch jetzt enorm. Der Unterschied: Dieses Mal hat Sarrazin Recht.

Vor zwei Jahren hatte profil den ehemaligen Bundesbanker (ehemalig, weil er wegen des Buchs zurücktreten musste) zur „Person des Jahres“ gemacht, nicht weil wir seine Thesen teilten, sondern weil er damit Deutschland über Monate in Ausnahmezustand versetzt hatte und die Parallelen zu Österreich offensichtlich waren. Das Buch selbst war dubios. Sarrazin beschrieb mögliche Folgen von Geburtenrückgang, Proletarisierung und Zuwanderung aus muslimischen Ländern für die Bundesrepublik. Wissenschaftlich belegt war das nicht; den Text als Zuspitzung von Volkes Meinung zu bezeichnen wäre eine Verharmlosung. Es war ein verhetzendes Buch, und so wurde es auch rezipiert und instrumentalisiert.

Mit dem neuen Werk ist das anders; die durchwegs hysterischen und großteils negativen Reaktionen sind nur aus jener Historie verständlich und erklärlich. Ex-Finanzminister Peer Steinbrück, ein möglicher deutscher Kanzlerkandidat, bezeichnete den Text bei Günther Jauch als „Bullshit“. „Spiegel“-Autor Jakob Augstein kritisiert den „gefühlsblinden Autisten“, der alles auf Zahlen, Daten und Fakten reduziere.

Vielleicht ist diese Faktengetriebenheit gar nicht so schlecht – und die „Süddeutsche Zeitung“ kommt der Sache mit ihrem Urteil schon näher: „So spannend wie der Monatsbericht der Bundesbank.“ Was also schreibt Sarrazin? Zum Beispiel, dass der Euro keine messbaren wirtschaftlichen Vorteile gebracht habe: „Wer die großen Visionen, die sich um den Euro ranken, außer Acht lässt und sich mit den Augen eines Buchprüfers über vorhandene Zahlen beugt, der kommt nicht umhin festzustellen: Ein ökonomischer Gewinn war die gemeinsame Währung in den ersten 13 Jahren ihrer Existenz nicht, wohl aber sind erhebliche Drohverluste aufgelaufen.“ Das stimmt jeweils für sich, vor allem aber im beschriebenen Zusammenhang. Ob die gemeinsame Währung zusätzliches Wirtschaftswachstum gebracht hat, ist nicht messbar; sicher ist aber, was mit der Formulierung „erhebliche Drohverluste“ ohnehin schmeichelweich formuliert bleibt: Der Euro hat Europa an den Rand des Abgrunds geführt, in die schlimmste Finanzkrise seit 1945. Nicht belegte ökonomische Vorteile als Rechtfertigung einer tödlichen Gefahr – das ist eine Rechnung, die nicht aufgeht. (Bizarr ist es daher, dass die Kritiker Sarrazin unglaubwürdig machen wollen, weil er umgekehrt nicht statistisch schlüssig widerlegen kann, dass der Euro Wachstum gebracht hat.)

Neben den Wachstumsaspekten des Euro widmet sich Sarrazin den politischen, jenen „großen Visionen“. Und auch da hat er völlig Recht, wenn er von einer „Desintegration Europas“ spricht. Er bezieht sich dabei vor allem auf die ökonomische Seite, nämlich den Zusammenbruch des „Club Med“ durch eine „interne Zahlungsbilanzkrise“. Der Euro hat aber nicht nur die wirtschaftliche Stabilität, wenn nicht sogar das wirtschaftliche Zusammenwachsen Europas hintertrieben. Er hat darüber hinaus die politische Einigung gestoppt, als sie sich zur monetären Zwangsehe entwickelte. Man frage die Griechen, was sie über die Deutschen denken, und umgekehrt!

Auch Sarrazins Klage darüber, dass die Eurozone alle ihre Tugenden verloren hat, ist nichts entgegenzusetzen: Maas­tricht-Kriterien, No-Bail-out, unabhängige Zentralbank.

Dass der Autor schließlich fordert, Deutschland (Anmerkung: und Österreich bitte auch) müsse „andere Lösungswege beschreiten, die auch den Austritt aus der Währungsunion nicht ausschließen“, falls der Euro nicht zur Ruhe kommt, ist eigentlich keine Forderung, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Sarrazin schreibt also nicht viel mehr, als dass der Euro das europäische Finanzsystem in enorme Gefahr gebracht hat, dass die Nationalismen eher zugenommen haben und dass dies so nicht geplant war. Kann das irgendjemand bestreiten?

Vielleicht liegt es an dieser Unbestreitbarkeit, dass sich die Kritik nun an einem anderen Aspekt von „Europa braucht den Euro nicht“ festmacht. Sarrazin schreibt über die Beweggründe für Deutschlands Solidarität gegenüber Griechenland und anderen wankenden Mitgliedern: Die Befürworter seien „getrieben von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben“. Dafür wird der Autor nun des Nationalismus geziehen, Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin setzt Sarrazin mit einem Holocaust-Leugner gleich.

Das ist Unsinn. Die historische Verantwortung hat Deutschlands Politik gegenüber Europa stets maßgeblich beeinflusst, sicherlich beim Eintreten für den Euro, wohl auch beim Versuch, ihn mit hohem finanziellem Einsatz zu retten. Dass Sarrazin dies als übertrieben qualifiziert, ist in der Wortwahl degoutant, inhaltlich aber argumentierbar.

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