Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Ausgebrannt

Ausgebrannt

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Burn-out-Alarm: Immer mehr Menschen in Österreich fühlen sich ausgebrannt, sagt die Statistik, die Zahl der Krankenstände und der Frühpensionen nimmt deswegen zu. Psychologische Behandlungen sind notwendig, sagte der Psychologenverband, und zwar auf Krankenschein. Psychotherapie ist notwendig, sagten die PsychotherapeutInnen, und zwar viel öfter auf Krankenschein als bisher. PolitikerInnen warfen sich ins argumentative Getümmel und waren dafür und dagegen, wobei sie munter klinische Psychologie und Psychotherapie durcheinanderbrachten. Kommentatoren griffen das Thema begeistert auf, auch sie unterschieden nicht zwischen den einzelnen Disziplinen.

Was mich daran irritiert, ist aber nicht so sehr die Begriffsverwirrung, sondern dass Psycho-Interventionen, wie etliche Stellungnahmen zeigten, als Wundermittel missverstanden wurden, das überforderte Werktätige in tadellos funktionierende Arbeitsbienen verwandeln kann.
Streckenweise entstand der Eindruck, als sollte überlasteten Menschen beigebracht werden, wie sie munter weiterspuren können unter miesen Rahmenbedingungen.

Solche Erwartungen wären fatal. Weder können oder möchten, wie ich annehme, PsychologInnen und PsychotherapeutInnen Derartiges leisten, noch dürfte eine halbwegs humane Gesellschaft das Ziel haben, Menschen für schwer aushaltbare Arbeits- oder Lebensbedingungen abzurichten.

Burn-out ist eine Reaktion auf zu viele Pflichten, zu viel Arbeit, zu viel Stress, zu wenig Anerkennung, zu wenig ­Freizeit, zu wenig Freude.
Manchmal überfordern Menschen sich selber, häufig ­jedoch sind es die Umstände, die sie zwingen, ihre Kräfte über Gebühr zu strapazieren. Die meisten Frauen, die sich verzweifelt zwischen Beruf, Familie und Haushalt abstrampeln, sind ja nicht psychisch angeknackst in der Form, dass individuelles Unvermögen sie daran hindert, zurechtzukommen, sondern Gefangene einer Zwangslage, die durch mentales Training nicht behoben werden kann.

Oder anders gesagt: Die viel zitierte alleinerziehende ­Supermarktkassiererin ist nicht krank, weil sie was falsch macht, sondern weil sie zu viel machen muss und weil sie alles, was zu tun ist, allein machen muss. Sie würde zunächst einmal praktische Hilfe brauchen: Kindergärten und Ganztagsschulen, in denen sie ihre Kinder gut aufgehoben weiß, Arbeitszeiten, die sich mit ihren sonstigen Pflichten vereinbaren lassen, kurze Anfahrtswege zum Arbeitsplatz, einen Lohn, der sie nachts ruhig schlafen lässt, Menschen, die ihr (häusliche) Arbeit abnehmen.

Detto der Angestellte, der in seiner Firma gemobbt wird, unter steigendem Leistungsdruck steht, um seinen Arbeitsplatz bangen muss, oder die neue Selbstständige, die rund um die Uhr arbeitet und trotzdem nicht weiß, ob sie im nächsten Monat genug Aufträge an Land ziehen wird, um ihre Miete zahlen zu können: alles Leute, denen ohne konkrete äußere Maßnahmen nicht effektiv geholfen werden kann.

Unser Gesundheitsminister ist leider kein begabter ­Kommunikator, was er sagt, kommt oft linkisch rüber, aber trotzdem hat er in dieser Debatte im Kern Recht: Wenn ­betriebliche Anforderungen die Arbeitenden krank machen, dann gehören als Erstes die Anforderungen geändert und nicht die Arbeitenden.

Depressionen, die durch objektiv deprimierende Umstände ausgelöst werden, sind was anderes als Stimmungs­tiefs, deren Ursache im subjektiven Erleben und möglicherweise auch in der Körperchemie eines bestimmten Menschen liegt. Es erscheint logisch, dass im ersten Fall überlegt werden soll, wie sich die Umstände ändern lassen.

Das alles ist kein Plädoyer gegen Psychologie und Psychotherapie. Es ist wichtig abzuklären, welche Faktoren welchen Stress auslösen, psychosomatische Zusammenhänge zu erforschen, die nicht offensichtlich sind, und präventive Maßnahmen daraus abzuleiten.

Es ist wichtig, Behandlung anzubieten. Sie kann bewirken, dass Menschen nicht mehr glauben, alles aushalten zu müssen, alles schaffen zu müssen, die Schuld immer bei sich suchen zu müssen. Sie kann lehren, auch einmal Nein zu ­sagen und gut zu sich selber zu sein. Sie hilft herauszufinden, warum man sich nicht traut, gut zu sich zu sein. Sie kann den Widerstand gegen unzumutbare Bedingungen stärken. Und sie kann helfen, sich ein dickeres Fell zuzulegen, falls man tatsächlich dazu neigt, allzu empfindsam durch die Welt zu gehen.

Aber weder Psychologie noch Psychotherapie sind aufgerufen, Versäumnisse der Politik, Zumutungen am Arbeitsplatz oder gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu kompensieren.

Es gibt keinen Superkleber, der kaputte Verhältnisse zu einer heilen (Arbeits-)Welt zusammenfügt und die Verantwortlichen aus ihrer Zuständigkeit entlässt.

Themawechsel: Als „Gesamtschule, in der alle in einen Topf geschmissen werden“, lehnte Vizekanzler Pröll dieser Tage die gemeinsame Schule für die Zehn- bis 14-Jährigen ab. Das wirft die Frage auf, wie informationsresistent man als (hochrangiger) Politiker sein darf. Niemand fordert ja eine Eintopfschule, stets ist von einer gemeinsamen Schule mit innerer Differenzierung die Rede. Die kann im End­effekt gut oder schlecht sein, wie das dem Vizekanzler heilige Gymnasium auch, aber die Qualität der Umsetzung ist was anderes als die Organisationsform. Mit der Bitte um Kenntnisnahme.

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