Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl: Du Alte!

Warum der Hinweis auf ein fortgeschrittenes Lebensalter als ultimative Kränkung gilt.

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Manchmal holen Leute in einem Streitgespräch zum finalen Vernichtungsschlag aus, indem sie einem alten Menschen an den Kopf werfen, dass er oder sie alt ist. Du blöde Alte! Du alter Depp! Oder einfach: Du Alte! Was wollen sie damit bewirken? Dass sich die Alten, von dieser Mitteilung ebenso überrascht wie schockiert, ans Herz greifen und tot umfallen?

Glauben sie, die Alte weiß nicht, dass sie alt ist? Glauben sie, der Alte glaubt, die anderen wissen nicht, dass er alt ist? Glauben sie, die Alte hat geglaubt, ihr jüngereres Gegenüber habe sie als Altersgenossin eingestuft, ehe es ihr, zackbumm, entgegenschleuderte, dass das keineswegs der Fall ist?

Nein, das alles glauben sie eh nicht. Sie wollen nur kränken. Sie halten „alt“ für die ultimative Kränkung, weil sie „alt“ für die schlimmste aller möglichen Eigenschaften halten.

„Alt“ fasst alles zusammen, was an Negativem möglich ist: dumm, borniert, unnötig, überflüssig, nimmer auf der Höhe der Zeit, total gaga, schiach zum Anschauen. Trifft ja manchmal auch zu, aber nicht zwangsläufig, und vor allem sind diese Eigenschaften nicht notgedrungen an das fortgeschrittene Alter einer Person geknüpft.

Wissen wir. Warum also wird „alt“ dennoch als Schimpfwort verwendet? Weil’s bequem ist, es zu benützen. Weil es das einzige Schimpfwort ist, das eine alte Person einer jüngeren Person nicht zurückgeben kann. Selber alt! funktioniert nicht, wenn die andere Person 20 Jahre jünger ist. Die junge Person muss also nicht lange nachdenken, um ihre angebliche Überlegenheit zu begründen, es genügt, wenn sie darauf verweist, nicht alt zu sein. Vielleicht sollte sie darüber nachdenken, dass sie – wenn sie davon ausgeht, alt sei gleichbedeutend mit unterlegen – jeder weitere Tag diesem schmachvollen Zustand näher bringt (es sei denn, sie gibt den Löffel demnächst verfrüht ab), aber darüber denkt sie in der Regel eben nicht nach. Außerdem geht sie, falls sie doch darüber nachdenkt, bestimmt davon aus, dass sie die große Ausnahme ist, bei der sich Alter mit Geist, Schönheit und Unwiderstehlichkeit paaren wird, weswegen sie davor gefeit ist, jemals als „alt“ wahrgenommen zu werden, wenn sie denn einmal in ferner, ferner Zukunft so was wie alt sein sollte.

Ich habe bis jetzt geschlechtsneutral formuliert, aber die Wahrheit ist: Es gibt einen Unterschied. Vor allem alte Frauen wissen, dass sie alt sind. Alte Männer neigen tatsächlich dazu, ihren Fundus an Attraktivität und jugendlicher Vitalität für unerschöpflich zu halten, vor allem, wenn sie mächtige alte (weiße) Männer sind. Der Zorn, der sich gegen alte weiße Männer richtet, gilt deren Macht und der Tatsache, dass sie nichts davon abgeben wollen. Und alte weiße Männer stellen gut 90 Prozent aller Machthaber. Aber nicht 90 Prozent der alten Männer, weiß oder nicht, sind sture, an ihrem Alpha-Rang festhaltende Silberrücken. Das sollte man vielleicht bedenken. 

Bei den Frauen machen die mächtigen Erbinnen großer Imperien überhaupt eine verschwindende Minderheit aus. Sie tendieren allerdings ebenfalls dazu, sich unbeirrt in der Blüte ihrer Anziehungskraft zu sehen, und niemand wagt es, ihnen ins Gesicht zu sagen, dass sie über das hormonell begünstigte Stadium hinaus sind, in dem sie den verblichenen Imperiumschef an Land gezogen haben. Das Gros der alten Frauen hingegen wird nicht geschont, obwohl  – oder gerade weil – es über keinerlei neiderregende Macht verfügt. Die alte Oma ist bekanntlich die Symbolfigur für intellektuelle Beschränktheit und physische Reizlosigkeit schlechthin. Warum? Misogynie halt, was sonst.

Der Umgang mit alten Menschen ist keine Nebensache.

O gute alte Zeit, in der die Weisheit der reifen Jahre noch geschätzt und geehrt wurde? Ach was. Eine Klassenfrage, wie so vieles. Alte Dienstboten zum Beispiel wurden statt geehrt nicht selten gescholten, wenn sie langsam wurden, zittrig waren, schlecht gehört oder gesehen haben und deswegen nachgelassen haben beim Dienen.

Ja, eh, das hohe Alter bringt durchaus Defizite mit sich. Aber sollten daraus nicht eigentlich Mitgefühl und Hilfsbereitschaft resultieren statt Verachtung? 

Der Umgang mit alten Menschen ist keine Nebensache. Die Bevölkerung der westlichen Industrieländer wird immer älter, einerseits, was die Lebenserwartung anlangt, und andererseits in Bezug auf den Altersdurchschnitt einer Gesellschaft. Wenn darüber geredet wird, dann oft wie über einen anwachsenden Müllberg. Was tun mit den Alten? Kosten Geld, blockieren Wohnraum, verbrauchen Rohstoffe, exhalieren , wollen ärztliche Hilfe, breiten sich in Thermenhotels aus. 

Kann man so sehen. Führt aber vielleicht in eine Zukunft, die wir uns nicht wünschen. Ich habe mir eine solche Zukunft ausgemalt und ein Theaterstück darüber geschrieben. „Oma oder Alles paletti“ heißt es, und wenn es auch nicht lustig ist, so hat es doch, wie ich hoffe, einen bösen Witz. Wenn alles gut geht und Corona es zulässt, wird es im März an der Wiener Freien Bühne Wieden uraufgeführt. Anita Kolbert spielt die Titelrolle, Michaela Ehrenstein führt Regie. Bitte Daumen halten!