Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Entmündigt II

Entmündigt II

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Margarete K. hätte sich gerne was zum Anziehen gekauft. Ihr Sachwalter erlaubte es, aber nur unter der Bedingung, dass sie vorher Platz in ihrem Kleiderkasten schaffe. Sie trenne sich wohl schwer von ihren alten Sachen, so voll, wie der sei? Das stimme, erwiderte Margarete K., trotzdem hätte sie gern was Neues. Der Sachwalter nannte ihr die Summe, die er dafür bewilligen könne. Da gab sie ihre Einkaufspläne auf.

Ich höre die Geschichte vom Sachwalter, der sie humorvoll zum Besten gibt, als pädagogischen Erfolg gewissermaßen, nur dass Margarete K. kein kleines Kind ist, sondern eine Frau von 85. Und ich frage mich, was der Sachwalter sagen würde, wenn er in meinen Kleiderkasten sehen könnte. Und ich stelle mir vor, wie es sein muss, wenn dir einer dein Geld einteilt und dir vorschreibt, was davon gekauft werden soll und was nicht.

Vielleicht würde so ein Sachwalter kopfschüttelnd vor meinem Kleiderkasten stehen und danach kopfschüttelnd vor meiner Gartenhütte, in der der Holzwurm haust, und vielleicht würde er die Tatsache, dass ich mir lieber Kleider gekauft habe, statt in die Holzwurmbekämpfung zu investieren, als neuerlichen Beweis meiner Lebensuntüchtigkeit interpretieren. Wenn ich ­einen Sachwalter hätte.

Noch habe ich keinen, aber rein theoretisch kann jeder Außenstehende, der zu dem Schluss kommt, dass ich ein bisschen gaga bin, einen für mich beantragen, und wenn ich 85 wäre und manchmal tatsächlich ein bisschen überfordert vom Alltag und vom Haushalt – wer weiß.

Natürlich wird man nicht leistungsfähiger im Alter. Alte Leute erkennen selber, dass ihre Kräfte nachlassen und manchmal auch ihr Hirn, aber sollen sie deshalb nicht mehr berechtigt sein, Entscheidungen über sich zu treffen, und seien es solche, die in den Augen anderer als unvernünftig gelten? Treffen Jüngere ausschließlich richtige Entscheidungen? Wer befindet über Richtig und Falsch? Und wer befindet, was bedenklich ist?

Ich habe im ganzen Haus Lesebrillen verteilt, aber wenn ich schnell eine brauche, finde ich manchmal trotzdem keine. Ich suche meine Schlüssel, eben waren sie noch da, wohin hab ich sie gelegt, als ich den Einkaufskorb aus der Küche geholt habe? Mir fällt der Name des Osteopathen nicht ein, den ich weiterempfehlen will. Keine besonderen Vorkommnisse, aber wenn ich an Margarete K. denke, die einerseits orientiert ist (wie es auf Psychiatrisch in einem Gutachten über sie heißt) und dann wieder irgendwie daneben, bin ich beunruhigt. Ab wann kann man sich keine Fehlleistungen mehr erlauben, ohne dass sie als Anzeichen nahenden Totalausfalls gewertet werden?

Ich beobachte, wie Jüngere mit Alten umgehen und was sie ihnen (nicht) zutrauen. Misstrauisch klopfe ich Tonfälle und Lautstärken darauf ab, ob Überlegenheit durchklingt, Herablassung oder freundliches – aber vielleicht trotzdem überflüssiges – Entgegenkommen. Warum brüllt die Frau hinter dem Schalter mit der alten Frau davor? Warum redet das Friseurlehrmädchen mit der betagten Kundin so betont langsam? (Ich kenne die betagte Kundin, sie steckt manche Junge intellektuell in die Tasche.) Warum geht der Jüngling im Handyshop selbstverständlich davon aus, dass der alte Zausel, der ihm ein Mobiltelefon abkauft, keine ­Ahnung von irgendwas hat?

Apropos: Ich schaue fern, es kommt ein Werbespot für eine hippe Sorte Leibniz-Kekse. Ein junger Mann, etwa 25, tritt auf und sagt: Seit meine Mutter einen Computer hat, läutet bei mir dauernd das Telefon. Wie lange dauert eine ­E-Mail nach Amerika? Hilfe, ich hab das Internet gelöscht …
Zur Erholung von all den blöden Fragen gönnt er sich dann eine Auszeit mit den besagten Keksen. Lustig! Wie blöd müssen Werber sein, denke ich mir, wenn sie sich nicht einmal ausrechnen können, dass die durchschnittliche Mutter eines 25-Jährigen zirka Mitte fünfzig ist und höchstwahrscheinlich seit Jahren an Computern arbeitet? Aber Werber dürfen blöd sein, ohne als senil zu gelten, während offenbar schon die Mittfünfzigjährigen aufpassen müssen, nicht in den Verdacht greisenhafter Unzurechnungsfähigkeit zu geraten.

Unsere Gesellschaft wird, wir wissen es, immer älter, und deshalb werden wir uns immer intensiver mit der Frage beschäftigen müssen, wie mit den Alten umzugehen ist. Den alten Menschen ihre Würde lassen. Sie betreuen, aber nicht bevormunden. Klingt einleuchtend. Sagt allerdings wenig über die praktische Umsetzung. Und schaut unterschiedlich aus, je nachdem, auf welcher Seite man steht, ob man zu denen gehört, die um ihre Würde bangen müssen, oder zu den anderen, denen die Betreuungsverpflichtung als Last um den Hals hängt. Denn selbstverständlich ist es keine leichte Aufgabe, die Balance zu finden zwischen respektvoller Zurückhaltung und notwendiger Hilfeleistung, womöglich neben vielen anderen Aufgaben.

Margarete K. ist eine von 59.000 Personen, die derzeit in Österreich unter Sachwalterschaft stehen, ich habe schon in meiner vorigen Kolumne über sie als beispielhaften Fall berichtet. Die Sachwalterschaft in ihrer derzeitigen Form ist eine fragwürdige Angelegenheit. Mehr dazu und auch über Reformvorhaben nächstes Mal.

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