Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Feindbild Oma

Feindbild Oma

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Unsere Oma hat sich als rechtes Reizthema entpuppt. Meine Kolumne gleichen Titels hat bei Frauen im Oma-Alter Zustimmung und bei Männern im Opa-Alter sowie bei erwachsenen Töchtern Ablehnung ausgelöst. Tenor der Gegenstimmen: Unsere Oma (meine Frau, meine Mutter) ist aber gerne Oma! Nun ging es mir ja gar nicht darum, Großmüttern die Freude an ihren Enkelkindern zu vermiesen, sondern lediglich um einen weniger beschränkten Blick auf ältere Frauen. Wir sollten, schrieb ich sinngemäß, in Betracht ziehen, dass sie erstens nicht von aller Welt als Oma angeredet und zweitens nicht ausschließlich in dieser Funktion gesehen werden wollen.
War scheint’s, man glaubt es kaum, so was wie ein Tabubruch. Weil so weit sind wir offenbar wieder nicht, dass wir auch den alten Weibern eine Abkehr von Rollenklischees zubilligen.

Wobei die silberhaarige, entsexualisierte Familien­­skla­vin, gütig und selbstlos, noch die beste Variante dessen ist, was ihnen zugeschrieben wird. Davon abgesehen haben sie die Wahl zwischen zwei Modellen: hilflose Greisin oder böse alte Schreck­schraube. Das alte Mütterchen ist ein Synonym für Weltfremdheit, Dummheit und Ahnungslosigkeit. Die alte Oma muss herhalten, wenn es einen Menschen zu beschreiben gilt, der einfachsten zeitgemäßen Anforderungen nicht gewachsen ist. Wenn etwas deppensicher ist, dann ist es so simpel, dass sogar die alte Oma damit umgehen kann. Alte Omas sind der natürliche Gegensatz zur modernen Technik. Nicht in der Realität, aber umgangssprachlich und in der Vorstellungswelt der Jüngeren, die zwar auch den alten Opa für unterbelichtet halten, jedoch nicht so sehr wie die alte Oma.

Am schlimmsten freilich ist die Selbstverständlichkeit, mit der alte Frauen als Verkörperung von Gehässigkeit, Bösartigkeit, Fremdenfeindlichkeit und denunziatorischer Neugier beschworen werden. Missgünstig, intolerant, sexualneidisch, andere ausspionierend und sich ungefragt in alles einmischend – so treten sie uns in der Werbung, in Fernsehfilmen, auf Theaterbühnen und in Zeitungen und Zeitschriften häufig entgegen. Die unsympathischste Spielart dieses Typus ist für gewöhnlich die feine Alte, die Wert auf Manieren legt und in gezierter Hochsprache redet, so als wäre es besonders anmaßend, wenn eine betagte Frauensperson sich gebildet gibt und Respekt einfordert. (Ich erinnere mich zum Beispiel mit Missvergnügen an einen Fernsehspot des Antirassismusvereins ZARA, der Alltagsrassismus anhand folgender Szene aufzeigen wollte: In einem Flugzeug weigert sich eine gemeine Alte, neben einem Passagier mit dunkler Hautfarbe sitzen zu sollen, worauf der brave junge Steward tatsächlich für einen Sitzplatzwechsel sorgt. Allerdings verschafft er nicht ihr, sondern ihrem Sitznachbarn ein Upgrading in die First Class. Listiger Plot, wenn man davon absieht, dass das Böse darin das Gesicht ­einer alten Frau trug. Und, ja, bestimmt gibt es rassistische alte Frauen – aber nichts deutet darauf hin, dass sie besonders zahlreich sind.)

Die Diskriminierung der Omas muss nicht in böser Absicht geschehen. Sie ist so üblich, dass sie oft unbewusst und automatisch stattfindet. Kürzlich wurde in einem Zeitungsartikel über die Prävention von sexueller Gewalt an Kindern eine Expertin zitiert, die grenzüberschreitendes Verhalten mit folgendem Beispiel deutlich machen wollte: Wenn ein Kind keine Möglichkeit hat, sich den aufdringlichen nassen Bussis der Oma zu entziehen, so lernt es, dass es Unangenehmes über sich ergehen lassen muss.

Das Beispiel war nicht wirklich falsch. Zwangsweises Abbusseln verletzt tatsächlich Persönlichkeitsrechte. Und doch: Im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch von Kindern ausgerechnet die Omas als diejenigen hinzustellen, die eine eventuelle Initialzündung für kindliches Opferverhalten zu verantworten haben, ist eine völlige Verkehrung der Realität, in der es bekanntlich überwiegend Opas, (Stief-)Väter, Onkel und sonstige Männer aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis sind, die Kindern zu nahe treten.

Als ich das der Expertin per E-Mail zu bedenken gab, schrieb sie mir zurück, ich hätte völlig Recht, das Beispiel wäre ihr einfach passiert. Es tue ihr leid, sie würde das nächste Mal besser aufpassen. Ihren Namen unterschlage ich daher diskret, erstens wegen einsichtiger Reue ihrerseits, zweitens aber auch, weil sie ja beileibe kein Einzelfall ist. War nur die übliche Gedankenlosigkeit. Das ist eben das Bedenkliche, dass einem (und einer) auf Anhieb eine alte Frau vorm geistigen Auge steht, wenn menschliches Fehlverhalten einleuchtend illustriert werden soll. Und die gegen jeden Widerstand busselnden Omas und alten Tanten gehören sowieso zu den am häufigsten verwendeten Witzfiguren – angegraute Frauenzimmer, die sich einfach nicht damit abfinden mögen, dass jede Form der körperlichen Nähe zu ihnen für Menschen von Geschmack eine unappetitliche Zumutung darstellt.

Zum Schluss: Schröpft Omas und Häuslbauer!, titelte profil 19/09 über-griffig eine (inhaltlich durchaus maßvolle) Coverstory zum Thema Vermögensteuer. Die Oma als Symbolfigur für unzulässigen Reichtum: absurd und ärgerlich. Wird Zeit, dass wir (potenziellen) Omas mal drohend die falschen Perlenketten schwingen.

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