Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Fußfessel

Fußfessel

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In einem furiosen Kommentar im „Standard“1 kritisierte Künstler und Kunsttheoretiker Peter Weibel kürzlich die elektronische Fußfessel für Sexualstraftäter als Täter-Verwöhnung und Opfer-Verhöhnung. Weibel: „Nach der Vermutung der Unschuld soll nun für jeden in Zukunft die Vermutung der Straffreiheit gelten. Wie absurd diese Haltung ist, zeigt sich am deutlichsten bei den Gewalttätern, vor allem bei den übelsten, den sexuellen Gewalttätern. Der Tatbestand ist klar und unmissverständlich: Straftaten heißen so, weil eine Tat, welche rechtswidrig ist, bestraft wird.“ Und: „Die Straftat ist also Verhalten, das durch ein Strafgesetz bestraft wird, um eine Schuld zu tilgen. Die Strafe dient somit nicht nur der Abschreckung oder der Besserung des zu Bestrafenden, nicht nur dem Schutz der Bevölkerung, sondern auch der Wiederherstellung der Gerechtigkeit. Der Straftäter hat Schuld auf sich geladen. Das Strafmaß entspricht dieser Schuld.“

Es war zu erwarten, dass diese Aussagen den Protest jener hervorrufen würden, die jegliche Bestrafung von Tätern als mittelalterliches Rachedenken verurteilen. Und der Protest kam. Am 11. September erschien eine Replik2 mit dem Titel: „Mit der Rachekeule gegen ein erfolgreiches Strafrecht“. ­Bereits im Vorspann stand: „Wer gnadenlose Haft verlangt, befindet sich gedanklich im Mittelalter.“ Im Text – dessen Autor Klaus Schwaighofer den weithin anerkannten Kunst- und Medientheoretiker Weibel zunächst als nicht ernst zu nehmenden ­Aktionskünstler abqualifizierte, wobei Aktionskünstler offenbar für Kasperl stand – hieß es dann: „Der Fußfesselträger genießt zweifellos Vorteile gegenüber anderen Verurteilten, auch er ist aber in der Lebensführung stark beschränkt und wird überdies sozialarbeiterisch betreut, was der Resozialisierung wesentlich dienlicher ist als Gefängnis.“

Diese Meinung mag man teilen, ich teile sie nicht, weil ich, wie viele andere auch, bezweifle, dass ein bisschen Einschränkung der Lebensführung und ein bisschen – mehr wird nicht drin sein – sozialarbeiterische Betreuung einen Kindervergewaltiger (wie der Anlassfall für die Fußfesseldebatte einer war) resozialisieren werden.

Aber der dicke Hund kommt noch. Nachdem Schwaighofer ein gewisses Verständnis dafür äußert, dass Opfer Angst davor haben, ihrem lediglich elektronisch gefesselten Peiniger bei dessen eingeschränkter Lebensführung zu begegnen, schreibt er: „Wer ist denn aller ‚Sexualstraf­täter’, für den die angedachten neuen Regeln gelten sollen? Die Palette reicht von besonders schweren Delikten wie Vergewaltigung bis zu harmloseren Straftaten wie gelegent­licher Konsum von Kinderpornografie, wo jedenfalls die Verhinderung des Zusammentreffens von Täter und Opfer nicht relevant ist.“

Harmlos? Der Konsum von Kinderpornografie? Macht nix, weil die dafür missbrauchten, fürs Leben gezeichneten Kinder den Konsumenten eh nicht treffen werden? Wer denkt sich so was aus?

Gelegentlich oder nicht, der Markt schafft die Nachfrage. Ohne Konsumenten keine Kinderpornografie. Deshalb ist jeder, der darauf zugreift, mit schuld an den zerstörten ­Leben, an den gebrochenen Persönlichkeiten, an der Qual der Kinder, die pornografisch vergewaltigt werden. Kinderpornografie, das sind nicht irgendwelche Bilder ohne Realitätsbezug. Dafür müssen ganz reale kleine Menschen ganz konkret leiden.

Der dieses Verbrechen verharmlost, ist leider nicht irgendwer. Klaus Schwaighofer, der Autor des „Standard“-Kommentars, ist Professor für Strafrecht an der Universität Innsbruck und Mitglied des Menschenrechtsbeirats.

Das ist besorgniserregend. Denken so die Repräsentanten unseres Rechtssystems? Und welchen Wertekanon gibt einer, der so denkt, in seiner Tätigkeit als Hochschullehrer an künftige RichterInnen, StaatsanwältInnen und RechtsanwältInnen weiter?

Dass die elektronische Fußfessel für Sexualstraftäter überhaupt zur Diskussion steht, hat ja mit den milden Urteilen zu tun, die über sie oft gefällt werden. Würde man, wie es das Gesetz durchaus vorsieht, längere Gefängnisstrafen verhängen, käme die Fußfessel als Möglichkeit der Strafverbüßung gar nicht infrage, sie wird bekanntlich nur bei minder schweren Vergehen in Betracht gezogen.

Aber offenbar gilt die Missachtung und Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung von Menschen als eben das: als minder schweres Delikt. Unsere Rechtsprechung tendiert dazu, das ist bekannt, Eigentumsdelikte vergleichsweise härter zu ahnden als Gewaltdelikte. Das wird oft kritisiert, und oft wird gefragt, wie es dazu kommt, dass das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit offenbar weniger zählt als der Respekt vor materiellem Besitz. Unter anderem wird das wohl mit einer Auffassungstradition zusammenhängen, die, wie sich zeigt, möglicherweise nicht nur an Stammtischen, sondern auch an unseren Hochschulen gepflegt wird.

Zur ungefähr gleichen Zeit, als der Fußfessel-Fall öffentlich wurde, fasste übrigens eine Prostituierte hierzulande 19 Monate Haft aus, weil sie ihrem Freier ein Schlafmittel verabreicht und ihm danach die Geldbörse ausgeräumt hatte.

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