Glückssache Gesundheitssystem

Krankheit mag Schicksal sein. Eine rechtzeitige und kompetente Behandlung auch?

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In Oberösterreich ist eine Frau an einem Aortenriss gestorben, weil sie nicht rechtzeitig operiert werden konnte. In dem einen Spital war kein OP-Team verfügbar, im anderen kein Intensivbett, und das dritte konnte nicht erreicht werden, weil in der Nacht kein Notfallhubschrauber flog. Tragisch. Ein unabwendbarer Tod? Nein, weil nichts Entscheidendes geschah, um ihn abzuwenden.

Ein Aortenriss ist ein katastrophales körperliches Geschehen. Und die Chancen, ihn zu überleben, sind nicht hoch. Aber es gibt sie. Wir haben das in der engsten Familie gerade erlebt. In diesem Fall riss die Aorta sogar in ganzer Länge ein, die Situation war also noch gefährlicher als in Oberösterreich. Aber die Rettungskette funktionierte. Der Notarzt ließ den Patienten nicht ins nächstgelegene Spital bringen, sondern in die Klinik Floridsdorf, die auf Herz- und Kreislauferkrankungen spezialisiert ist. Dort wurde sofort operiert. Sieben Stunden lang bemühte sich eine großartige Chirurgin um die Rettung des Patienten, und das Wunder gelang. Nach sieben Stunden unvorstellbar bangen Wartens rief die Chirurgin die Frau des Patienten noch aus dem Operationssaal an, klärte sie behutsam über den Verlauf der Operation auf (da war es zwei Uhr früh) und nahm sich Zeit für ein ausführliches, beruhigendes Gespräch. Zu höchster fachlicher Kompetenz kam menschliche Größe. Das war im August, und die Rekonvaleszenz des Geretteten macht gute Fortschritte. Gott sei Dank. Großes Glück im Unglück.

Im Fall einer Erkrankung rasch und kompetent behandelt zu werden, dürfte keine Glückssache sein.

Elfriede Hammerl

Ist Gesundheit Glückssache? Einerseits ja. Du kannst schwer krank werden oder nicht – das ist Schicksal. Im Fall einer Erkrankung rasch und kompetent behandelt zu werden, dürfte hingegen keine Glückssache sein.

Der Fall der Frau in Oberösterreich schlägt begreiflicherweise hohe Wellen. Und immer, wenn ein fürs Gesundheitswesen verantwortlicher Mensch im Fernsehen dazu befragt wird, könnte ich vor Zorn die Wände hochgehen. Alle weisen sie eilig darauf hin, dass ein Aortenriss eine Erkrankung ist, die halt nur wenige überleben. Ja, schon. Aber die Frau in Oberösterreich ist nicht gestorben, weil sie unrettbar war, sondern weil gar nicht erst mit den richtigen Maßnahmen versucht werden konnte, sie zu retten. Das ist ein entscheidender Unterschied. Vielleicht wäre sie gestorben. Vielleicht aber auch nicht. Jetzt durchblicken zu lassen, dass eine Rettung eh höchst unwahrscheinlich gewesen wäre, ist eine faule Ausrede für ein offenkundiges Systemversagen und hochgradig unredlich.

Eine andere Geschichte, in ihr geht es nicht um Leben oder Tod, aber doch um die Frage, wie viel Glück man braucht, um bei gravierenden Verletzungen Hilfe zu bekommen: Eine Frau rutscht in ihrem Haus aus und stürzt mit Karacho gegen einen Kachelofen. Es gelingt ihr, die Rettung anzurufen, die sie ins Krankenhaus Baden bringt. Dort wird ein Röntgen von Kopf und Wirbelsäule gemacht. Wenig später kommt ein Arzt zu ihr – sie liegt auf einer Bahre vor dem Röntgenraum – und sagt: Nichts passiert! Und fragt: Können Sie gehen? Nein, sagt die Patientin. Darauf der Arzt: Dann bringt Sie die Rettung nach Hause.

Im Rettungsauto klagt die Patientin über starke Schmerzen. Rufen S’ halt morgen den Hausarzt an, rät die Sanitäterin. (Es ist Sonntag.) Anschließend wird die Frau untergehakt, in ihr Haus geschleift und auf einem Sofa hinter dem Eingang deponiert.

Die Frau ist zuerst verzweifelt, dann rappelt sie sich auf und telefoniert. Sie erreicht eine befreundete Ärztin, die ihre Aufnahme im Wiener Franziskus Spital Margareten erwirkt. Diesmal wird sie gründlich untersucht, und die Diagnose lautet: vier Wirbelfrakturen, ein Rippenbruch, ein durch den Sturz ausgelöster Bandscheibenvorfall. Sie bleibt vier Wochen – hervorragend betreut – im Krankenhaus, die vollständige Heilung wird Monate dauern.

Ebenfalls Glück im Unglück, aber wie wäre es weitergegangen ohne den hilfreichen Kontakt zur befreundeten Medizinerin? Und darf eine Patientin, die angibt, nicht gehen zu können, einfach nach Hause expediert werden? Beunruhigende Fragen.

(Ja, die Geschichte ist überprüft. Ich habe sie gerade selbst erlebt.)