Elfriede Hammerl: Die Kandidatin

Warum Irmgard Griss kein schlechtes Rollenvorbild wäre.

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Ich werde Frau Griss höchstwahrscheinlich nicht wählen, habe ich letztes Mal geschrieben, aber vielleicht habe ich mich geirrt. Denn die ausführliche Beobachtung des Wahlkampfes hat mir Irmgard Griss – engagiert, höflich, geduldig, eloquent – von Auftritt zu Auftritt sympathischer gemacht, und alles, was sie sagt, scheint mir durchdacht und vernünftig. Den heftig diskutierten „Nazi-Sager“ im „Falter“-Interview hat sie in einem „ZIB 2“-Gespräch mit Lou­Lorenz-Dittlbacher meiner Meinung nach glaubwürdig erklärt. Der Satz, dass die Nazis nicht von Anfang an nur ein böses Gesicht gezeigt hätten, sei als Warnung gemeint gewesen. Wörtlich: „Für mich ist völlig klar, dass das Nazi-Regime ein verbrecherisches Regime war. Dass diese Untaten durch nichts zu rechtfertigen sind. (…) Meine Aussage bedeutet doch: Dieses Regime hat nicht von Anfang an bereits deutlich für alle gezeigt, wo das hinführt. (…) Wir müssen wachsam sein gegenüber den Entwicklungen. Es ist nicht so, dass eine Diktatur von Anfang an ihr böses hässliches Gesicht zeigt. Die Menschen werden verführt.“

Das heißt nicht: Das NS-Regime hatte seine guten Seiten oder alle ÖsterreicherInnen waren Opfer. Es heißt lediglich: Wer nicht gleich alles durchschaut hat, war nicht zwangsläufig fanatische/r NationalsozialistIn. Daraus abzuleiten, Griss beschönige die Naziherrschaft und/oder stehe der Rechten nahe, halte ich für ungerechtfertigt.

Als Role Model für Mädchen und junge Frauen taugt diese Kandidatin allemal. Kein Töchterl aus der Oberschicht, sondern eine, die sich ihren sozialen Aufstieg mit Fleiß und Zielstrebigkeit erarbeitet hat. Keine, die (vergeblich) auf irgendeinen Märchenprinzen gewartet hat, sondern eine, die beschloss, dem harten Leben ihrer Mutter, einer schwer schuftenden Nebenerwerbsbäuerin, durch konsequenten Lerneifer zu entgehen. Eine, die früh über den Tellerrand schaute, als Au-pair-Mädchen in Paris und als Post-Graduate-Studentin an der renommierten Harvard Law School. Alleinerziehende Mutter nach der Geburt ihres ersten Sohnes, berufstätige Mutter auch nach ihrer Heirat und nach der Geburt ihres zweiten Sohnes. Eine Frau mit vielfältiger Lebenserfahrung also, mittlerweile in durchaus privilegierten Verhältnissen, die aber, wie es scheint, nicht vergessen hat, was (fehlende) Rahmenbedingungen für normale Leute bedeuten. Anders als die übliche Powerfrau, die in der Regel was von notwendiger ­Organisation faselt (als wäre Organisation eine Währung, in der Hausangestellte und teure Internate bezahlt werden können), macht sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht bloß von individueller Tüchtigkeit abhängig, sondern fordert ein flächendeckendes Angebot an öffentlichen Ganztagsschulen und kostenlosen Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder. Das gefällt mir, ich gestehe es, gut. Eine Bundespräsidentin, deren Familienbild auf der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern am öffentlichen Leben basiert und die weiß, dass so etwas die gesellschaftliche Unterstützung bei der Kinderversorgung voraussetzt, wäre nicht das Schlechteste, was uns passieren könnte.

Ich denke, Griss ist klar geworden, dass sie auch in der Frauenfrage Stellung beziehen muss.

Ist Griss ja doch eine Feministin? Ich denke, ihr ist klar geworden, dass sie auch in der Frauenfrage Stellung beziehen muss. Mag sie sich bisher damit begnügt haben, von gleichen Ansprüchen auszugehen und die Errungenschaften feministischer Vorkämpferinnen für die eigene Karriere zu nützen, erkennt sie jetzt offenbar die Notwendigkeit, ihre private Fifty-fifty-Weltsicht auch in politische Forderungen zu gießen, und tritt in ihrem Programm für eine 50-prozentige Frauenquote in den Führungsetagen staatsnaher Betriebe ein. Immerhin.

Das fällt aber gar nicht in die präsidialen Kompetenzen? Na ja. Haltung macht Stimmung. Und Stimmung erzeugt Druck. Abgesehen davon könnte eine Präsidentin durchblicken lassen, dass sie wenig Lust hat, eine Regierung ohne adäquaten Frauenanteil – wie unsere jetzige – anzugeloben.

Eine Wahlempfehlung also? Nicht unbedingt, aber ein Zurechtrücken von Fakten, zumal ich den Eindruck habe, dass Griss sich öfter als die anderen Kandidaten mit Missinterpretationen und Unterstellungen herumschlagen muss. Beispiel: ihre Alterspension. Sie beziehe eine normale Pension sagte sie, um zu betonen, dass sie keine Sonderregelungen genieße. Sogleich wurde ihr das als Abgehobenheit à la Marie Antoinette ausgelegt: Ob sie sich nicht schäme, 9000 Euro als normal zu bezeichnen und ob sie nicht wisse, wie niedrig die durchschnittliche Alterspension von Frauen sei, nämlich knapp 1000 Euro?

Das war fies. Und sexistisch. Sollen nur Mindestrentnerinnen für das höchste Amt im Staat kandidieren dürfen? Oder soll sich die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs mit einer winzigen Pension begnügen, weil andere Rentnerinnen schließlich auch nicht mehr zu Verfügung haben? Und wie oft wurde denn männlichen Kandidaten schon nahegelegt, sich mit ihren Bezügen an den Ärmsten der Armen zu orientieren? Na eben.