Elfriede Hammerl: Irgendwo anbinden?

Elfriede Hammerl: Irgendwo anbinden?

Wenn der Kindergarten plötzlich zusperrt.

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1. Kindergarten-Desaster in Wien: 33 von der Stadt geförderte Privatkindergärten des Träger-Vereins „Alt-Wien“ werden Anfang September zusperren. Die Stadt hat dem Betreiber weitere Fördergelder gestrichen, weil er die bisherigen, so der Vorwurf, zur Sanierung privater Immobilien missbraucht habe. 2300 Kinder verlieren schlagartig ihre Plätze. Wie es mit ihnen weitergeht, ist ungewiss. Ein Schlamassel.

Dass eine Veruntreuung öffentlicher Gelder gestoppt werden muss, ist klar. Aber zu Lasten von – schuldlosen – Kindern und Eltern? Was die Eltern vor allem auf die Palme bringt, ist die Tatsache, dass man sie nicht informiert hat. Sechs Tage vor der ursprünglich für 31. Juli geplanten Schließung habe sie zufällig aus den Medien davon erfahren, berichtet eine Mutter. Ein halbes Jahr davor war offenbar schon ein Prüfverfahren gegen den Betreiber eingeleitet worden, das wurde den Eltern jedoch nicht mitgeteilt. Nun stehen sie vor dem Problem, möglichst schnell erschwingliche Betreuungsplätze für ihre Kinder zu finden. Wer sich auch nur ein bisschen auskennt, weiß, das wird nicht leicht sein.

Kinder können, Überraschung, nicht einfach an beliebigen Orten abgestellt werden wie ein Fahrrad.

Der Fall zeigt wieder einmal, wie weit Theorie und Praxis in der Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie auseinanderklaffen, und wie riskant es ist, sich auf die Theorie zu verlassen. Praktisch sind gute Kindergartenplätze nämlich nach wie vor Mangelware (wer Nachwuchs möchte, sollte sich bekanntlich möglichst noch im Planungsstadium nach einem Platz umschauen), und die Bedürfnisse von Kindern und Eltern scheinen den Verantwortlichen nur rudimentär bekannt.

Denn Kinder können, Überraschung, nicht einfach an beliebigen Orten abgestellt werden wie ein Fahrrad, sie müssen sich erst an neue Betreuungsplätze gewöhnen und hängen, wenn sie sich eingewöhnt haben, am Vertrauten. Sie kurzerhand herauszureißen aus dem bekannten Umfeld und anderswo abzugeben – so das überhaupt möglich wäre – ist eine pädagogische Untat. Ja, höre und staune, liebes Publikum, Kinder wollen ihre Bezugsgpersonen behalten und nicht von ihren Freundinnen und Freunden getrennt werden! Und was die Situation der Eltern anlangt – da gibt es scheint’s in vielen Hinterköpfen immer noch verschwommene Vorstellungen von Großfamilien und Nachbarschaften, die im Bedarfsfall schon einspringen werden. Oder es hält sich hartnäckiger als zugegeben wird die Idee, dass Kinder ja eigentlich eh zur Mutter gehören, weswegen Mütter ihre Berufstätigkeit an- und ausknipsen sollen wie Lampen.

Nein, so denken wir nicht mehr? Und außerdem wissen wir doch mittlerweile, dass Kindergärten wichtige erste Lerneinrichtungen sind? Ach, Leute. Lippenbekenntnisse. Selber schuld, wer sie ernst nimmt.

Eine betroffene Mutter wandte sich übrigens an die Gewerkschaft. Sie bekam den Rat, ihr Kind, wenn es keinen Betreuungsplatz habe, zur Arbeit mitzunehmen. Man werde sie dann heimschicken. Allerdings würden ihr die Fehlstunden vom Urlaub abgezogen. Gute Idee. Da wären noch ein paar Vorschläge:

Engagieren Sie eine Nanny. Das Gehalt, das Sie ihr zahlen müssen, wird von Ihrem Sparkonto abgezogen. Ihr Fehler, wenn nicht genug drauf ist.

Gründen Sie selber einen Kindergarten. Ihren Beruf müssen Sie dann allerdings an den Nagel hängen, aber wenn Sie geschickt im Aufstellen von Fördergeldern sind, schaut vielleicht am Ende eine Immobilie raus.

Binden Sie Ihr Kind vor dem Büro an, am besten mit einer Leine, die es nicht durchbeißen kann.

2. Wieder einmal gelesen, Hilllary Clinton sei unbeliebt, weil eine humorlose Streberin. Ja, eh, wir kennen die Vorwurfsliste: ehrgeizig, zielstrebig, auf ihre Arbeit fixiert, professionell, kompetent, aber zu wenig menschlich.

Frage: Was ist menschlich? Inkompetent und unprofessionell? Es gibt an Hillary Clinton einiges zu kritisieren (ich halte ihr freilich immer noch ihr – wenngleich vergebliches – Engagement für ein öffentliches US-Gesundheitssystem zugute), aber seit wann sind Ehrgeiz, Zielstrebigkeit und Arbeitsorientierung negative Eigenschaften?

Gerechtigkeit für die Ernsthaften. Wir sollten sie schätzen und lobpreisen, die bemühten, vernünftigen, pragmatischen Streberinnen.

Ach so. Nicht: seit wann. Sondern: an wem. Und die Antwort lautet: an Clinton. An Merkel (so vernünftig, so pragmatisch – gähn). An Frauen. Das alte Muster, wie in der Schule: Gute Schülerinnen sind ja bloß fleißig.

Zugegeben, auch an männlichen Politikern wird gern fehlendes Charisma bemängelt, wenn sie keine Pfauenräder schlagen, aber noch häufiger qualifiziert man Politikerinnen auf diese Weise ab. Tatsächlich haben sie jedoch wenig andere Möglichkeiten als die, mit strikter Ernsthaftigkeit voranzukommen. Der charismatische Menschenverführer (im übertragenen wie im sehr konkreten Sinn), das ist eine Rolle, die sich bei Männern gut mit Leadership und Respektabilität vereinbaren lässt. Die Verführerinnennummer hingegen gehört in eine andere Kategorie.

Daher: Gerechtigkeit für die Ernsthaften. Wir sollten sie schätzen und lobpreisen, die bemühten, vernünftigen, pragmatischen Streberinnen. Schon gar, wenn die Alternativen Donald Trump, Viktor Orban oder R.T. Erdogan heißen.

[email protected] www.elfriedehammerl.com