Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Nomenklatura

Nomenklatura

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Wer die ORF-TV-Sendung „Im Zentrum“ am 22. März zum Fall Zilk verfolgte, bekam als Nebenprodukt ­einen kleinen Anschauungsunterricht in Sachen Kastendenken, der wieder einmal bestätigte, wie selbstverständlich der jeweiligen Nomenklatura ihre privilegierte Lage scheint und wie wenig sie sich ihrer provokanten Arroganz bewusst ist.

Für 5000 Schilling* würde er sich nicht einmal die Fingernägel abbeißen, rief Ex-ORF-General Gerd Bacher aus, um zu demonstrieren, wie lächerlich der Vorwurf sei, ­Helmut Zilk könne für einen derart marginalen Betrag dem tschechoslowakischen Geheimdienst Informationen geliefert ­haben.
Nun stimmt es einerseits, dass schwer vorstellbar ist, der „Marktwert“ eines Journalisten vom Kaliber Helmut Zilks sei, auch wenn man die damalige Kaufkraft einrechnet, nicht höher gewesen als eben diese relativ bescheidene Summe.

Trotzdem frage ich mich, was sich ZuschauerInnen denken sollen, die, obwohl auch nicht blöd, unqualifiziert oder faul, 5000 Schilling nicht als läppisches Entgelt abtun können, wenn sie hören, mit welcher Verachtung die Opinion Leaders solche Beträge zu unerheblichem Abfall erklären.
Zur Illustration: Für 5000 Schilling – nach heutiger Kaufkraft – recherchieren und schreiben freie JournalistInnen, die halt keine Stars sind, oft ziemlich lange an einem Artikel. Für 340 Euro fahren ernst zu nehmende ­LiteratInnen von Wien ins Waldviertel, um dort eine ­Lesung zu halten. Für 340 Euro gibt eine diplomierte Sprachlehrerin 13 Stunden Fremdsprachenunterricht. Für 340 Euro arbeiten junge AkademikerInnen eine Woche lang. Und von 340 Euro müssen MindestpensionistInnen fast einen halben Monat leben. Schön für alle, die ihre Talente, Kenntnisse und Fertigkeiten besser verkaufen können, doch unschön, wenn sie keinerlei Gespür dafür haben, wie verhöhnt sich die schlechter Gestellten vorkommen müssen angesichts ihrer Überheblichkeit.

Noch einmal: Der Hinweis auf die Diskrepanz zwischen den als Bezahlung genannten Beträgen und dem Renommee Helmut Zilks sowie auch dem Risiko einer Spionagetätigkeit seinerseits war schlüssig, der verächtliche Ton jedoch, in dem 5000 Schilling zu einem Betrag erklärt wurden, für den es sich nicht lohne, auch nur einen Finger zu krümmen, der war befremdlich.

Was Zilk-Witwe Dagmar Koller anlangt (die ebenfalls in der Diskussionsrunde saß), so ist klar, dass sie verletzt und aufgebracht sein muss, und jegliche leidenschaftliche Parteinahme für ihren Mann ist grundsätzlich verständlich. Frau Koller begnügte sich jedoch leider nicht damit, ihren Glauben an seine absolute Integrität darzulegen. Vielmehr argumentierte sie aus dem Blickwinkel eines Mitglieds der herrschenden Klasse, das es nicht nötig habe, sich mit niederen Vorwürfen abzugeben.
„Dienstmädchengespräche!“, rief sie ein ums andere Mal, als die Rede von einem Bleikristallluster war, den Zilk den Unterlagen zufolge als Honorar verlangt haben soll. „Dienstmädchengespräche!“ Und sie drohte, die Gesprächsrunde ob ihres minderen Niveaus zu verlassen.

Was wollte sie damit sagen? Dass Kristallluster aus Wartungsgründen in den Aufgabenbereich von Hauspersonal fallen, während noble Persönlichkeiten ausnahmslos über Themen von spiritueller Bedeutung philosophieren? Dass treue Mägde sich engstirnig für nix anderes interessieren als für die Kristallluster der Herrschaft? (Wenn sie sich da bloß nicht täuscht.) Dass böhmische Bleikristallluster dem Wert nach ebenfalls unter die Peanutsgrenze fallen? Oder einfach nur: Wer was Besseres ist, ist allein durch seinen Status ­davor gefeit, kritisierbare Taten gesetzt zu haben?

Streckenweise entstand der Eindruck, Frau K. verstehe die Welt nicht mehr. Sie beschwor die alte Freundschaft zwischen Zilk und Bacher, sie berief sich auf Freundschaften zu anderen einflussreichen Persönlichkeiten, sie brachte Zilks Enkel ins Spiel, dem, vor der Matura stehend, Vorwürfe gegen seinen geliebten Großvater zugemutet würden, und verstand ganz offensichtlich nicht, dass genau dieses Urvertrauen in gesellschaftliche Netzwerke, die die Privilegierten vor den Anmutungen eines gewöhnlichen Lebens bewahren sollen, ungut nach einem symptomatischen Mangel an Skrupeln roch, Skrupeln davor nämlich, gegebenenfalls Verbindungen über das Anlegen allgemein verbindlicher Maßstäbe zu stellen.

Um erwartbaren Missverständnissen vorzubeugen: Das ist keine Stellungnahme zur Causa Zilk, über die man ­unterschiedlicher Meinung sein kann. (Ich persönlich halte es auch für möglich, dass Zilk sich vorgestellt hat, den CSSR-Geheimdienst in quasi Schwejk’scher Manier aufs Kreuz zu legen.) Das ist ebenso wenig eine Kritik an der begreiflichen Loyalität und Empörung von Angehörigen und Freunden, die das Andenken an einen geliebten und geschätzten Menschen beschmutzt und bedroht sehen. Lauter zu respektierende Reaktionen. Faszinierend bis deprimierend war jedoch der Einblick ins Promi-Selbstverständnis, das sich ja, wie wir wissen, keineswegs auf die genannten Personen beschränkt. Nomenklatura eben, die lässig davon ausgeht, dass für sie eine eigene Überholspur existiert, und die verstört reagiert, wenn sich einmal keine auftut.

* So viel betrug eine Tranche der Zahlungen, die Zilk laut Unterlagen vom CSSR-Geheimdienst erhielt.

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