Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

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Die moderne Zeit verlangt mir eine Menge Selbstständigkeit ab. Ich buche Flugreisen selber. Ich drucke mir meine Bahntickets aus. Ich suche mir in Geschäften ganz allein die Klamotten in der passenden Größe von den Stangen. Ich karre neue Möbelstücke selbst nach Hause. (Karre ich? Es wird jedenfalls von mir erwartet. Das Möbelhaus würde mir sogar einen Transporter dafür borgen. Was, lieber liefern? Okay, aber nur bis vors Haustor!) Danach baue ich meine Möbel eigenhändig zusammen. (Na ja, ähem, ich versuche es, ehe ich meinen Nachbarn Franz anrufe, einen ebenso gütigen wie geschickten Mann, der an seinem weithin leuchtenden Heiligenschein erkennbar sein sollte.)

Des Weiteren füge ich Einzelteile aneinander, bis sie Staubsauger, Bügeleisen, Fön und/oder Toaster sind. Ich programmiere mein Handy und das Blue Tooth Headset. Ich schließe meinen Drucker an. Ich versuche meinen drahtlosen Internetanschluss zu installieren. Ich überweise elektronisch. Ich tanke selber. Ich messe den Ölstand. Ich fülle Öl nach. Wie heißt noch mal die Sorte, die mein Auto braucht? (Die Zeiten, da man einfach schlichtes Mehrbereichsöl nachschütten konnte, sind bekanntlich vorbei.) Ich gieße Wasser nach. Ich fülle die Scheibenwaschanlage auf. Immerhin gibt mir der Tankwart seine Schmutzwäsche nicht zum Waschen mit. Noch nicht.

Der Geschirrspüler verweigert das Spülen, und ich weiß sofort: Eigeninitiative ist angebracht. Die Homepage des Herstellers bestätigt diesen Verdacht, statt mich mit Ser­viceangeboten zu langweilen, vertraut sie meinem handwerklichen Geschick und listet mögliche Fehler samt Behebungsmaßnahmen auf. Ich probiere sie alle durch, meine Spülmaschine bleibt trotzdem invalide. Nach langem, investigativem Forschen stoße ich schließlich auf eine Telefonnummer, unter der ich einen richtigen, lebendigen Reparaturfachmann anfordern kann.

Während ich auf ihn warte, wasche ich mein Geschirr per Hand. Endlich kommt der Meister. Er schaut skeptisch und drückt probehalber auf diverse Tasten. Hab ich alles schon versucht, sage ich. In diesem Moment startet die Maschine heimtückisch durch. Der Meister ist genauso verblüfft wie ich. Wahrscheinlich war’s ein Elektronikfehler, sagt er. Und was für einer? Leider, nicht feststellbar. Aber wenn er wieder auftritt? Anrufen. Ich werde mich hüten. Der reparative Zufallstreffer kostet Länge mal Breite. Das nächste Mal bleibe ich beim Do-it-yourself-Tellerwaschen. Der Geschirrspüler dekoriert die Küche ohnehin enorm, das muss reichen. Der gleiche Ärger mit dem neuen Handy. Telefonieren damit nur fallweise möglich, daher Bittgang zu einer Filiale der Herstellerfirma (die keine Firma mehr sein will, sondern ein Club, vermutlich, damit ich vor Freude über meine Clubmitgliedschaft vergesse zu reklamieren). Handy abgeben zum Einschicken, warten. Endlich kriege ich es wieder. Was war los? Achselzucken. Ein Softwarefehler. Kann jederzeit erneut auftreten, oh ja.

All das würde ich vielleicht klaglos ertragen, wenn es mir Zeit oder Geld oder gar beides oder wenigstens den Umgang mit unwilligem Personal ersparte. Aber leider. Der ganze Null-Service kostet reichlich Kohle und üppig Lebenszeit, und wie sehr ich mich auch um Autonomie bemühe, früher oder später – zum Beispiel, wenn die Gebrauchsanleitung wichtige Schritte der Inbetriebnahme unterschlägt – finde ich mich in Verhandlungen mit einem Kronprinzen von Macholand oder einer Hohepriesterin des Tempels der blasierten Trutschen wieder, die angeblich für den Kundendienst zuständig sind, mich aber behandeln wie eine Ungezieferplage.

Sie müssen mit dem Headset in den Koppelungsmodus gehen! Genau, wie mache ich das? Na, lesen Sie halt die Betriebsanleitung! Da steht’s nicht drin! Das ist doch ganz leicht. Okay, sagen Sie mir, was ich tun muss. Na, Sie müssen in den Koppelungsmodus gehen. Ja, aber wie? Und so weiter als Endlosschleife. Die Verfechter des Selbst-ist-der-Mensch behaupten, dass alles noch viel teurer wäre, wenn nicht der Verzicht auf ­inkludierte Dienstleistungen vorausgesetzt würde, aber ­irgendwie widerstrebt es mir, für einen Verzicht überhaupt zahlen zu sollen.

Und vor allem frage ich mich, woher ich die Zeit nehmen soll, um genug zu verdienen, damit ich meine bestenfalls halb fertigen Möbel, meine keineswegs betriebsbereiten Geräte, das Kontoführungsentgelt für das von mir geführte Konto und für die Nichtbehebung diverser Softwarefehler zahlen kann, wenn ich doch schon mit Kontoführen, Möbelmontagen und dem Studium von Betriebsanleitungen völlig ausgelastet bin.

Aber vielleicht sollte ich das Positive sehen und froh sein, dass es Bereiche gibt, auf die das Prinzip der Selbstbedienung noch nicht übergegriffen hat. Es mag ein klein wenig untüchtig klingen, doch die Vorstellung, dass meine Zahnärztin verlangt, ich solle mir meine Inlays selber einsetzen, macht mir Angst. Und auch dem selbstständigen Steuern einer Boeing 747 fühle ich mich, ganz ehrlich, nicht so richtig gewachsen – Ja, ich höre schon auf. Kommt sonst am Ende noch ­jemand auf dumme Gedanken.n

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