Elfriede Hammerl: Verschubmasse Frau
So, junge Frau, nun wollen wir einmal ein vernünftiges Wort miteinander reden! Warum waren Sie denn allein unterwegs? So spät? So früh? An einem solchen Platz? In dieser Menschenmenge? An diesem menschenleeren Ort? Warum überhaupt unterwegs?
Natürlich haben Sie das Recht dazu. Das streitet ja niemand ab. Das stellt keiner infrage. Hier. Bei uns. Man rät Ihnen lediglich zu Vorsichtsmaßnahmen. Vorsicht ist die Mutter … Sie wissen schon. Wir geben Ihnen nur gute Ratschläge, wir verbieten Ihnen nichts und schreiben Ihnen nichts vor. Vorsichtsmaßnahmen sind keine Verbote.
Schauen Sie, Ihr Leichtsinn … Das ist zum Beispiel so, als würden Sie darauf bestehen, Ihre Wohnungstür nicht zuzusperren. Niemand verbietet Ihnen das. Aber es wäre unvernünftig. Natürlich, die Rechtslage erlaubt nicht, dass Ihre Wohnung leergeräumt wird, nur, weil Sie die Tür unversperrt lassen. Aber wenn es passiert, dürfen Sie sich nicht wundern.
Sie sollten sich deshalb gut überlegen, wohin Sie gehen oder ob Sie überhaupt wohin gehen wollen.
Wenn Sie sich in Gefahr begeben, sind Sie eine offene Wohnung. Indem Sie sich an gefährlichen Plätzen einfinden, laden Sie gewissermaßen dazu ein, dass man Sie, also Ihren Körper, betritt. Gefährlich ist jeder Platz, an dem Ihnen was passiert. Wenn Ihnen was passiert ist, dann waren Sie an einem gefährlichen Platz. Da Ihnen praktisch überall was passieren kann, gibt es viele gefährliche Plätze. Sie sollten sich deshalb gut überlegen, wohin Sie gehen oder ob Sie überhaupt wohin gehen wollen.
Ein Mensch ist keine Wohnung?
Na gut, dann halt ein anderer Vergleich. Wie gefällt Ihnen der: Wenn Sie unvorsichtig sind, dann sind Sie ein unbewachtes Geldbörsel, das herumliegt und aus dem sich jeder bedienen kann. Nicht darf, theoretisch, aber kann, praktisch. Was unvorsichtig ist? Unvorsichtig sind Sie, sobald sich einer an Ihnen bedient. Das ist doch ganz einfach.
Ich weiß jetzt wirklich nicht, was Sie gegen meine Vergleiche haben. Gebrauchsgegenstand – natürlich sind Frauen keine Gebrauchsgegenstände, aber womit soll ich Sie denn sonst vergleichen, damit Sie mich endlich verstehen?
Und Sie dürfen ja doch bitte nicht nur an sich allein denken. Das Ganze hat ja auch eine politische Dimension, oder besser: vor allem eine politische Dimension, das betrifft ja nicht nur Sie, sondern unsere ganze Gesellschaft. Ein bisschen mehr Verantwortungsgefühl!
Also, wenn Ihnen ein Einheimischer ans Gesäß greift, dann sollten Sie sich geschmeichelt fühlen, das wissen Sie doch, das hatten wir schon oft, damit sind wir doch durch. Das ist ein Kompliment. Der Mann findet Sie dann eben attraktiv. Vielleicht meint er es sogar als Eheanbahnung, wie dieser Abgeordnete, der gesagt hat, so hätte er seine künftige Frau kennengelernt, nämlich mit einem Griff an ihren Hintern.
Ich weiß, Po-Grapscher-Paragraf und so, aber ehrlich, das sind doch Auswüchse einer falsch verstandenen Emanzipation, davon sollten Sie sich distanzieren.
Solange Sie nicht von einer Mehrheit sexuell belästigt werden, ist es unzulässig, die Minderheit an den Pranger zu stellen
Wenn Ihnen Ausländische ans Gesäß greifen, dann sollten Sie besser den Mund halten, weil Sie sonst das politische Klima vergiften. Sie arbeiten dann den Dumpfbacken, den Vorurteilsbeladenen, den fremdenfeindlichen Kleingeistern zu. Das ist Wasser auf deren Mühlen, die freuen sich, wenn Sie publik machen, was Ihnen widerfahren ist! Mit den Folgen müssen wir nachher alle leben, nur weil Sie unachtsam genug waren, sich sexuell belästigen zu lassen und dann auch noch öffentlich darüber zu reden. Sie tragen die Verantwortung! Ja, Sie! Wer sonst? Doch nicht die, die Ihnen an den Hintern – oder wohin auch immer – greifen! Die haben es nicht besser gelernt. Und auch nicht die Dumpfbacken, oh nein, die sind halt, wie sie sind, klar, dass die jede Gelegenheit ergreifen, sich aufzuspielen und ihre Ressentiments für bewiesen zu halten! Es liegt an Ihnen, dafür zu sorgen, dass die Stimmung nicht kippt, in welche Richtung auch immer.
Nicht zuletzt kommt es darauf an, welche Fremden Ihnen zwischen die Beine fassen. Wenn es Zugewanderte der zweiten Generation sind, dann können diejenigen, die erst jetzt gekommen sind, schon mal nichts dafür, ja? Das wollen wir einmal festhalten. Und wenn sich’s um solche handelt, die erst jetzt gekommen sind, dann sind die halt noch nicht so weit, was Frauenrechte betrifft. Die können ja wohl schlecht weiter sein als die anderen. Was ist daran beunruhigend?
Hören Sie mit diesem Generalverdacht auf. Die, die Sie sexuell belästigt haben, sind eine Minderheit. Solange Sie nicht von einer Mehrheit sexuell belästigt werden, ist es unzulässig, die Minderheit an den Pranger zu stellen. Ihr Pech, wenn Sie ausgerechnet der Minderheit in die Quere gekommen sind.
Ich sage Ihnen jetzt einmal etwas: Nehmen Sie sich nicht so wichtig. Sie sind Verschubmasse auf der Argumentationsebene, mehr nicht. Und vielleicht bald ein neues Geschäftsfeld. Es werden ja schon Escortdienste gegründet, die bereit sein werden, Sie gegen gutes Geld durch die Nacht nach Hause zu begleiten. Zu teuer? Dann warten Sie ab, bis sich die Bürgerwehren formiert haben, die unsere Damen schützen wollen. Und lernen Sie schon einmal, sich wie eine Dame zu benehmen.
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