Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Was sein wird

Was sein wird

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Es ging ganz schnell. Umgeknöchelt auf Plateausohlen (bitte keine Kommentare zu Plateausohlen, ich kenne sie alle), fünfter Mittelfußknochen gebrochen. Den Juli verbrachte ich mit Gipshaxn. Von einem Moment auf den anderen: Humpeln und Hatschen statt Herumwieseln wie üblich. Autofahren nicht möglich.

Mein kleines Haus ist hundert Jahre alt. Seinen Charme machen unter anderem die vielen unterschiedlichen Ebenen darin aus. Plötzlich waren sie total uncharmant. Stiegen und Stufen zwischen den Räumen und sogar innerhalb mancher Räume. Mit Krücken (und ungeübt in deren Gebrauch) ein Horror. Als der Gips aushärten sollte und ich deswegen keinesfalls auftreten durfte, rutschte ich abwechselnd auf Knien und Hintern treppauf, um den Hals hing mir eine Tasche mit den zu befördernden Dingen wie Handy, Brillen, Terminkalender. Eine entwürdigende ­Ak­tion.

Meine Umgebung war rührend hilfsbereit. Man kaufte mir ein und chauffierte mich, ich sollte anrufen, wenn ich was brauchte, abends kamen die Tochter oder Freundinnen und Freunde vorbei, packten mich ins Auto und fuhren mit mir zum nächsten Heurigen, um einem etwaigen Lagerkoller vorzubeugen. Eine erfreuliche Erfahrung. Indes kein Langzeitkonzept. Visionen von Hilflosigkeit im höheren Alter stellten sich ein. Einsames Dahinvegetieren, um niemandem zur Last zu fallen. Grauenvoll. Man sollte beizeiten – Ja, was?

Das Problem ist, dass ich keine Ahnung habe, was sein wird. Wie alle anderen auch. Woran wird es uns fehlen, auf welche Defizite sollen wir uns einrichten, was werden wir brauchen? Vielleicht bleiben wir ja halbwegs rüstig. Falls nicht, welche Einschränkungen kommen auf uns zu? Es macht nämlich einen Unterschied, ob man schlecht sieht oder nix hört oder nimmer gehen kann, ob das Hirn nicht mehr mitmacht oder die Muskulatur oder die Leber.

Was nützt mir die barrierefreie Wohnung, wenn meine Altersbeschwerden gar nichts mit meinem Bewegungs­apparat zu tun haben?
Wären Sie halt. Hätten Sie halt. Warum haben Sie nicht längst? Das kommt davon, weil die Eltern nicht rechtzeitig – Was ist die rechte Zeit wofür? D., meine Freundin seit Langem, einst sportlich und taff, hat ein heimtückisches neurologisches Leiden aufgerissen, das ihr die Kontrolle über ihre Muskeln entzieht. Sie braucht Hilfe beim Gehen, Stehen, Essen, Waschen, Anziehen. Seit einiger Zeit benützt sie einen Rollstuhl.

Vor vielen Jahren ist sie in den Süden gezogen. Dort will sie bleiben, in ihrem Haus, am Meer, unter der Glyzinienlaube und den Feigenbäumen. Ihr Mann ist gestorben, ihre Kinder wohnen und arbeiten in Österreich. Warum über­siedelt sie nicht hierher zurück?

Darum: Weil sie an ihrem Heim hängt. Weil sie an dem Land hängt, das ihr Heimat geworden ist. Weil sie an ihrer Autonomie hängt, auch wenn die nur noch mit äußerster Anstrengung und unter Aufzehrung aller finanziellen Reserven mehr schlecht als recht aufrechterhalten wird.

Ihre Betreuungspersonen wechseln. Die letzte Putzfrau hat sie hemmungslos bestohlen. Die Nachbarn, die immer eine Ersatzfamilie waren, haben gravierende eigene Sorgen. Und dennoch. Was wäre die Alternative? Ein Bett in einem Pflegeheim, mit Blick auf graue Häuserwände?

Cousine S. ist über achtzig, blitzgescheit nach wie vor, wach, interessiert, aber körperlich zunehmend schwach. In immer kürzeren Abständen liegt sie darnieder. Bringt mich nur nicht ins Spital, sagt sie dann, lasst mich liegen, ich werd schon wieder, und wenn nicht, ist es auch egal. Es ist uns aber nicht egal, wir können sie nicht einfach liegen lassen, wie stellt sie sich das vor? Wir sind besorgt und aufgebracht, warum weigert sie sich so beharrlich, mobile Dienste in Anspruch zu nehmen, Essen auf Rädern und Heimhilfen, das gibt’s doch alles?

Zu teuer, behauptet S., das kann ich mir nicht leisten. Ihre Rente ist klein, aber nicht klein genug, um sie zum Sozialfall zu machen. Außerdem schmeckt ihr das Essen auf Rädern nicht, fader Einheitsfraß. Und vor fremden Leuten, die sich in ihren Haushalt mischen, graut ihr. Ihr habt doch keine Ahnung, sagt sie.

Richtig. Wir haben keine Ahnung. Noch nicht. Wir meinen es gut, auch mit uns. Wir wollen uns keine Sorgen machen müssen. Ist eh alles bestens geregelt. Wie man sich bettet, so liegt man. Daran wollen wir glauben. Warum sind die Alten nur so stur? So uneinsichtig?

Die Frage ist: Was sollen sie einsehen? Was werden wir einsehen wollen? Dass wir den Jüngeren gefälligst keine Schwierigkeiten machen sollen, indem wir uns in ein reduziertes Dasein fügen, gefüttert, gewaschen, mit Pillen versorgt, ohne Erinnerung an Ansprüche, die wir früher ganz selbstverständlich an unser Leben gestellt haben?

Wir werden dem Schicksal keine jungen Körper abtrotzen können, das ist schon klar, und insofern ist Fügsamkeit zwangsläufig angesagt. Aber eben nur im jeweils unumgänglichen Ausmaß. Und wir müssen dabei nicht unentwegt lächeln, und wir dürfen ein Stück Unvernunft in ­unsere alten Tage retten. Sie werden doch mit achtzig keine Plateausohlen tragen wollen? Doch. Wollen schon. Und überhaupt: wer weiß.

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