Eva Linsinger
Leitartikel

Eva Linsinger: Bitte aufwachen, Herr Bundeskanzler!

Klimapolitik nach dem Trallala-Prinzip ist seit Jahrzehnten hochkant gescheitert.

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Keine Frage: Der Corona-Winter war für alle anstrengend, auch für die Politik. Wenig Wunder, dass sich die Regierung wie der Rest Österreichs nach einer Pause sehnt, nach Zeit zum Durchschnaufen und Abschalten. Bei der ÖVP scheint der Wunsch besonders ausgeprägt: „Uns erwartet ein Sommer der Lebensfreude“, tönte die türkise Allzweckwaffe Tourismusministerin Elisabeth Köstinger hoffnungsfroh. Und die ÖVP ließ quer durch Österreich Plakate mit dem Slogan „Die Pandemie gemeistert“ aufhängen. Endlich ein Sommer ohne Probleme! Endlich ein Sommer, in dem Sebastian Kurz den Feel-Good-Kanzler geben kann!

Die Sehnsucht ist menschlich nur allzu verständlich. Das Problem ist bloß: Sie passt überhaupt nicht zur Realität. All das Wünschen wird nicht helfen, Corona ist nicht vorbei, die Klimakrise schon gar nicht. Im Gegenteil. Höchste Zeit, dass Bundeskanzler Kurz und seine Regierung aus ihren Sommerträumen aufwachen, damit aufhören, inhaltsleere Wohlfühl-Slogans zu verbreiten, und beginnen, ernsthaft Probleme anzupacken.

Ja, das ist anstrengend. Ja, das wäre eine Novität. Denn die heimische sogenannte Klimapolitik funktionierte traditionell nach dem Trallala-Prinzip und bestand vor allem aus heißer Luft. Wechselnde Regierungen beschränkten sich darauf, hohle Mythen über das angebliche Umweltmusterland Österreich zu verbreiten – und die Angelegenheit damit für erledigt zu halten. Das Resultat: Seit drei Jahrzehnten verfehlt Österreich verlässlich meilenweit seine selbst gesteckten Klimaziele. Die Trallala-Methode, zu hoffen, dass sich das Klimaproblem schon irgendwie von selbst löst, wenn man es nur lange genug ignoriert, ist also hinlänglich erprobt – und hochkant gescheitert.

Das wissen nüchterne Institutionen wie der Rechnungshof, die sich von PR-Botschaften nicht blenden lassen, längst. „Österreich ist vom Klimawandel besonders betroffen“, Schäden von einer Milliarde Euro pro Jahr inklusive, heißt es in einem aktuellen Bericht. Weitere bittere Klimakrisen-Wahrheiten gefällig? Umweltmusterland ist Österreich keineswegs, sondern EU-Klimaschutz-Nachzügler, dem milliardenhohe Strafzahlungen drohen. Es liegt beim Fleischkonsum an der Weltspitze, beim -Ausstoß pro Kopf auch – Letzteres auch wegen der dramatisch wachsenden Zersiedelung: Täglich werden erkleckliche 13 Hektar Boden zubetoniert, das entspricht 30 Fußballfeldern, immer weiter verstreute Einkaufszentren und Häuser erzeugen immer mehr Verkehr. Diesen Flächenverbrauch beklagt eine Institution, die es wissen muss: die heimische Hagelversicherung. Oder: Spritpreise sind hierzulande niedrig. Und: Ein heilloses Wirrwarr an Förderungen, von Wohnbaugeldern über Landwirtschaftssubventionen bis zu Pendlerpauschalen, verfolgt viele Ziele – Umweltschutz steht aber selten im Vordergrund.

Die Liste der über die Jahrzehnte angehäuften Klima-Probleme wäre lang fortsetzbar. Plumpe „Steinzeit“-Sager und markige Sprüche werden sie nicht lösen, lieblos zusammengestoppelte Sieben-Punkte-Überschriftensammlungen wie im Ministerrat diese Woche auch nicht, Verbalscharmützel schon gar nicht. Denn längst ist der Klimawandel kein Fall mehr für Feinspitze aus der Wissenschaft, sondern mit freiem Auge sichtbar: Hitzerekorde. Unwetter. Dürre. Überschwemmungen. Wohlgemerkt nicht irgendwo weit weg, sondern mitten in Österreich.
Während der Corona-Krise geriet es ein wenig in Vergessenheit, aber: Eigentlich ist Türkis-Grün angetreten, um sich mutig dem Mammutthema Klima zu stellen.

Ob das gelingt, wird nicht unwesentlich von Regierungschef und Bundeskanzler Sebastian Kurz abhängen: Bisher bestand seine  Kernkompetenz eindeutig im Politmarketing. Als blendender Kommunikator setzte er sich immer wieder an die Spitze des jeweiligen Zeitgeists, ohne sich mit allzu vielen Inhalten allzu sehr zu belasten. Die schnelle Schlagzeile, der rasche Effekt lagen ihm stets näher als komplizierte Konzepte. Konsequenterweise erreichte Kurz schon unter Türkis-Blau große Übung darin, viel und laut über Reformen zu reden – und erstaunlich wenig tatsächlich zu verändern. Geschuldet auch einem gewissen Wolfgang-Schüssel-Trauma, aus dessen Abwahl Kurz den Schluss zog, dass zu viel forsche Veränderung Stimmen kostet.

Bloß: Der Klimawandel wird sich nicht wegreden lassen, nicht einmal von gewieften Rhetorikern wie Kurz. Von der Papierform  wäre   Türkis-Grün die Idealkonstellation, dieses komplexe Thema anzupacken: die ÖVP als die Partei der Bauern- und Wirtschaftsversteher und die Grünen als Ökoträumer und Weltverbesserer. 

Das wäre dann das „Beste aus beiden Welten“ – diesmal aber wirklich und nicht nur als Slogan.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin