Eva Linsinger

Eva Linsinger: Ist da jemand?

Eine bessere Gelegenheit für die Klimawende als die milliardenschweren Corona-Hilfspakete wird nicht kommen. Aber die Handschrift der Grünen ist in der Regierung bisher kaum zu erkennen.

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Staatstragendes Zeremoniell in der Hofburg und feierliche Aufbruchstimmung: Der 7. Jänner 2020 war ein erhebender Tag für die Grünen. Erste Bundesregierung mit Grün-Beteiligung angelobt, frischgebackene Minister mit ambitionierten Plänen. Nicht einmal in ihren gruseligsten Alpträumen hätten sich die Regierungsnovizen vor vier Monaten ausgemalt, dass sie wenig später Grundrechte abschaffen, Versammlungen verbieten, mit Notverordnungen regieren und Gesetze im Expresstempo durchs Parlament peitschen würden. Welch bizarre Volte für eine Partei, die Bürgerrechte und Basisdemokratie zu den unverrückbaren Grundwerten zählt!

Gravierender noch: Mitte März, als die Covid-19-Infektionskurve rasant anstieg, war Tempo gefragt - und selbst drakonische Einschränkungen im Blitzverfahren ließen sich als Anti-Virus-Notwehr rechtfertigen. Die Grünen konnten neben der Kanzlerpartei ÖVP immerhin den Junior-Krisenmanager geben, allen voran Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Doch die hektische Phase des Ausnahmezustands ist vorbei - und mit ihr die Basta-Politik, in der täglich dekretiert wird, was ab sofort zu passieren hat. Umso drängender stellen sich einige Fragen: Welche Töne schlagen die Grünen in der neuen Corona-Etappe an? Wie drücken sie der Regierung ihren Stempel auf? Welche Akzente setzen sie bei der Mammutaufgabe, die schlimmste Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren zu bewältigen? Wie fahren sie nach dem Ende des Lockdowns auch ihre Prinzipien wieder hoch?

Kurz: Wo bleiben die Grünen eigentlich? Die Zwischenbilanz fällt überaus dürftig aus. Über eine Adabei-Rolle kommen die Grünen selten hinaus, sie tragen die türkise Politik mit. Mehr Handschrift gibt es kaum zu vermelden. Beispiele gefällig? Erstens Vermögenssteuern. In einem Mutanfall wagte es Vizekanzler Werner Kogler, eine Meinung zu haben, und pochte auf "rigorose Beiträge von Millionenerben" zur Krisenbekämpfung. Nach einer Abkanzelung durch die ÖVP gab er klein bei und vermeldete gehorsam, die Frage stelle sich "erst in ein paar Jahren". Wann denn? Wenn die ÖVP es gestattet? Wenn die Grünen in Opposition sind? Schneller ließ sich selten jemand den Schneid abkaufen. Keine Frage: Gerade die Häme der SPÖ über Koglers Umfaller klingt billig, denn die Sozialdemokraten schafften es selbst nie, Erbschaftssteuern durchzusetzen. Niemand erwartet, dass eine 14-Prozent-Partei einem 37-Prozent-Koalitionspartner prompt Zustimmung zu großflächiger Umverteilung abringt. Koglers K. o. kam allerdings unsportlich flott. Einen Hauch beherzter und hartnäckiger hätte er schon kämpfen können; immerhin sind Steuern für Vermögende ein Fixpunkt in allen grünen Konzepten.

Zweitens Transparenz. Drängen auf gläserne Politik und Aufdeckerqualitäten gehören zu den Kernkompetenzen der Grünen. Das war gestern - heute bleiben Protokolle des Corona-Krisenstabes Verschlusssache. Und zur Virenschleuder Ischgl ist von den Grünen in Tirol und Bund erschreckend wenig zu hören.

Eine passendere Gelegenheit für ihr Ziel der Klimawende werden die Grünen nicht bekommen.

Drittens Demokratie. Von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel stammt die treffende Erkenntnis, dass Corona eine "demokratische Zumutung" darstellt - und deshalb Widerspruch erfordert. Sebastian Kurz kam keine vergleichbare Formulierung über die Lippen. Wenig Wunder: Öffentliche Selbstzweifel sind ihm fremd, er zieht es vor, die eigene Sicht- und Handlungsweise für die einzig mögliche zu halten. Dem Demokratieverständnis der Grünen entspricht Merkels Zugang viel eher - umso befremdlicher, dass sie die "Zumutung" Corona selten grundsätzlich hinterfragen.

Viertens Frauen. Neulich im Kanzleramt: Gipfeltreffen. Kurz und Kogler lassen sich über Rezepte gegen die Wirtschaftskrise beraten. Geladen sind fünf Ökonomen, ausnahmslos reputierliche Herren. Expertise von Frauen schien genauso wenig gefragt wie der Input unorthodoxer Denker. Waren die Grünen nicht einmal bekannt für Gender-Budgets und unkonventionelle Zugänge?

Gewiss: Alles nur Momentaufnahmen, alles nur ein Vorspiel. Die entscheidende Bewährungsprobe kommt jetzt: Nach dem Corona-Shutdown verteilt die Regierung Milliardensummen; neben den Hilfsfonds werden Konjunkturpakete geschnürt. Eine bessere Chance, die Wirtschaft in Richtung Öko zu lenken, gab es selten; so viel Geld wird der Staat so bald nicht wieder in die Hand nehmen. Warum nicht Hilfszahlungen an Öko-Bedingungen knüpfen? Kurz: Eine passendere Gelegenheit für ihr Ziel der Klimawende werden die Grünen nicht bekommen. Und: Ja, man kann sich auch gegen übermächtige Koalitionspartner durchsetzen (siehe die Popup-Radwege in Wien).

Schon im Koalitionspakt, lange vor Corona, schluckten die Grünen viel, was ihnen sauer aufstieß, allen voran die rigide Migrations- und Flüchtlingspolitik - alles in der Hoffnung, wenigstens beim Klimaschutz etwas bewegen zu können. Jetzt - nicht in ein paar Jahren - wäre der ideale Zeitpunkt dafür. In den Sparpaketen nach Corona wird kein Geld mehr da sein.

[email protected] Twitter: @evalinsinger

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin