1.140.000.000.000 – Verdammt viele Nullen

Rainer Nikowitz: 1.140.000.000.000

1.140.000.000.000

Drucken

Schriftgröße

Das waren schon verdammt viele Nullen. Also, vielleicht nicht für die Ehrentribüne beim Hahnenkammrennen in Kitzbühel. Aber eine Zahl mit zehn Nullen hinten dran sah schon ausgesprochen beeindruckend aus. Noch dazu eine, die für eine Geldsumme stand. Steininger zählte noch einmal nach. Die Herren waren von ihren Beratungen immer noch nicht zurück, also hatte Steininger ja Zeit, seine Unterlagen noch einmal durchzusehen. Es stimmte. Vorne stand 114 – und dann kamen zehn Nullen. Das war also … eine Zilliarde und 140 Trillionen. Oder so. Zugegeben, ganz hatte er dieses „Quantitative Easing“ nicht verstanden. Aber er war schon stolz auch. Denn ohne ihn wäre diese Zahl schließlich – zwar nur ein winziges bisschen, aber doch – kleiner gewesen. In ihr steckte ja schließlich auch sein Geld drin. Also nicht so ganz direkt, denn Steininger musste es ja erst verdienen. Aber das würde schon klappen. Vor allem, wenn dieser Termin heute für ihn nach Wunsch verlief.

Endlich ging die Tür zum Nebenzimmer auf und die drei Anzugträger kamen wieder heraus. Sie schauten sehr ernst drein. Gut, das mussten sie auch, schließlich waren sie nicht irgendwelche dahergelaufenen Kasperln, sondern seriöse Geschäftsleute, die jede Menge Verantwortung zu tragen hatten. Da war ein ernster Gesichtsausdruck quasi eine vertrauensbildende Maßnahme.
„Also …“, begann der mittlere der drei, offenbar der Chef-Anzug. „Sie würden den Kredit also brauchen für eine … wie heißt dieses Ding noch einmal?“

„Eine Mehrbandschleifmaschine. Die alte war schon 20 Jahre alt und hat jetzt endgültig den Geist aufgegeben. Und in einem Tischlereibetrieb braucht man so was nun einmal.“

Der Chef-Anzug schaute noch ein wenig strenger als vorher. „Und dafür wollen Sie … 40.000 Euro Kredit. Das ist eine stolze Summe. Und so leid es mir tut, aber das geht sich für uns einfach nicht aus. Wir müssen Ihren Antrag leider ablehnen.“

Damit hatte Steininger nicht gerechnet. Sein Blutdruck sackte ab und er sah die drei mit einem Mal nur mehr verschwommen vor sich. „Aber wieso denn nicht?“, stammelte er. „Wir haben doch jetzt endlich Quantitative Easing! Geld ohne Ende! Hat Ihnen die EZB nicht auch Ihre ganzen Staatsanleihen abgekauft, damit Sie endlich wieder Kredite vergeben und in die Realwirtschaft investieren und so?“

Der linke Anzug schüttelte den Kopf und machte: „Ts, ts, ts!“ Der rechte schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. Und die Miene des mittleren verdüsterte sich vollends.

„Hören Sie mir auf mit der Realwirtschaft!“, brauste er auf. „Ein völlig überholtes Konzept aus Zeiten, in denen man geglaubt hat, Rendite sei eine französische Schauspielerin. Wir haben eine Verpflichtung unseren Shareholdern gegenüber! Haben Sie etwa Shareholder?“

Nein, die hatte Steininger nicht. „Aber sieben Angestellte hab ich“, sagte er trotzig.

„Das auch noch! Kostenfaktoren! Was stellen Sie sich eigentlich vor Herr … Steinberger war der Name, nicht wahr? Wenn wir jetzt mit unserem Liquiditätsüberschuss in Aktien gehen, was glauben Sie, was wir da an Rendite erwirtschaften? Die Börse brummt! Und erst der Immobilienmarkt! Und da kommen Sie daher und wollen von uns einen Kredit? Mit dem wir ein paar kümmerliche Prozenterln verdienen? Ja, halten Sie uns denn für völlig bescheuert?“

Eigentlich schon, dachte Steininger. Aber das auszusprechen, hätte seine Chancen wohl nicht gerade erhöht.

„Außerdem“, fuhr der Chef-Anzug fort, „beweisen Sie mit Ihrem, pardon my French, unqualifizierten Geplapper gerade deutlich die Richtigkeit unserer Entscheidung. Wir sollen jemandem, der so offensichtlich keine Ahnung vom kleinen Einmaleins der Wirtschaft hat, auch noch Geld in den Rachen werfen? Es geht um die Deflation! Und um die Refinanzierungskosten der Staaten! Aber auf gar keinen Fall, Herr Steinberger, geht es um Sie und Ihre lächerliche Dingsmaschine!“

Steiningers Blutdruck kam zurück. Und jetzt kriegte er einen richtigen Zorn. „Eigentlich wäre es gerechter, die EZB tät mir die Kohle direkt geben. Und nicht Ihnen.“

Die drei Anzüge schauten einander kurz an und brachen dann in schallendes Gelächter aus.

„Sie verstehen da schon wieder etwas ganz falsch“, sagte der Chef-Anzug, nachdem er sich beruhigt hatte. „Dieses Geld gibt es ja in Wirklichkeit gar nicht. Erst, wenn das alles nicht funktioniert hat, weil – nur um ein völlig absurdes Beispiel zu verwenden – die Banken lieber in Aktien und Immobilien investieren und die Staaten einfach nur immer noch mehr Schulden machen, ohne etwas zu ändern – dann erst wird es dieses Geld wirklich geben. Weil Sie es dann mit Ihren Steuern zurückzahlen müssen. Insofern nehmen wir jetzt auch unsere Verantwortung für Sie ganz persönlich wahr, Herr Steinberger. Weil, wenn Sie dann auch noch die Raten für einen Kredit am Hals haben – wie sollen Sie sich denn das bitte leisten können?“

Eine Zilliarde und 140 Trillionen, dachte Steininger und stand auf. Und dann bekam das Security-Personal richtig Arbeit.

[email protected]

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort