Leitartikel Martin Staudinger

Fluchtgedanken

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Manchmal fällt es schwer, sich nicht für dumm verkauft zu fühlen. „Mir ist es wichtig, Besonnenheit hineinzubringen in die Asyldebatte“, beteuerte ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner vergangene Woche im Ö1-„Morgenjournal“.

Zuvor hatte Mikl-Leitner genau das Gegenteil getan. Sie erweckte im „Kurier“ den Eindruck, Asylwerber aus dem Servitenkloster hätten sich auf „brutalste Weise“ als Schlepper betätigt und dabei etwa „schwangere Frauen … hilflos auf der Route zurückgelassen“. So sehr die Innenministerin inzwischen auch zurückrudert – die infame Gleichsetzung von Asylwerbern und Wirtschafts- oder (je nach ideologischer Befindlichkeit) Armutsflüchtlingen mit Kriminellen ist damit wieder einmal amtlich.
Mikl-Leitner setzt jedoch nur eine Tradition in der Asyldebatte fort, die weit zurückreicht. Keine Regierung hat in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich glaubwürdig versucht, „Besonnenheit hineinzubringen“. Genau das wäre aber ihre Verantwortung bei einem dermaßen emotionsgeladenen Thema gewesen – und zwar in bewusstem Gegensatz zur großen Koalition aus Boulevard und FPÖ.

Stattdessen wurden in Tateinheit mit „Krone“ und Freiheitlichen Feindbilder verstärkt, eine Atmosphäre der Unsicherheit erzeugt und das Problem unverhältnismäßig aufgebläht. Inzwischen gilt es als größter Leistungsnachweis der heimischen Fremdenpolitik, wenn die Zahl der Asylanträge sinkt und jene der Abschiebungen steigt.

Dabei hätte die Innenministerin längst etwas ganz anderes sagen können. Zum Beispiel:

„Liebe Leute, es gibt auf diesem Planeten eine Unzahl von Menschen, die unter scheußlichen Bedingungen leben und sich anderswo verbessern wollen. Das war immer schon so. Denken wir an die Burgenländer, die Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA ausgewandert sind. Sie hatten das Glück, dort willkommen zu sein. Amerika suchte Immigranten.
Die Wirtschaftsflüchtlinge von heute treibt die gleiche Motivation wie die Burgenländer von vorgestern: das, was in der US-Verfassung unter der Bezeichnung ,pursuit of happiness‘ (Streben nach Glück) als ,unveräußerliches Recht‘ festgeschrieben ist. Offene Türen können sie im Europa des 21. Jahrhunderts aufgrund gänzlich anderer Rahmenbedingungen allerdings nicht mehr erwarten.

Deshalb versuchen viele, die früher einfach als Einwanderer gekommen wären, sich nun als Asylwerber Zutritt zu verschaffen. Gleichzeitig lässt sich oft nur schwierig feststellen, wer als Flüchtling anzuerkennen ist und wer nicht. Die Grundlage dafür – die Genfer Konvention von 1967 – hält mit der Art und Weise, wie bewaffnete Konflikte inzwischen geführt werden, nicht immer Schritt.

Bei vielen der Asylwerber stellt sich heraus, dass sie die erforderlichen rechtlichen Kriterien nicht erfüllen. Viele machen auch falsche Angaben über Identität und Herkunft, um ihre Chancen auf Aufnahme zu verbessern. Man kann das als Betrug bezeichnen, sollte ihnen gleichzeitig aber zugestehen, dass sie damit zumindest kein kriminelles Motiv im strafrechtlichen Sinn verfolgen. Vor allem darf man sie nicht in einen Topf mit jenen Berufsverbrechern aus dem Ausland werfen, die einreisen, um Straftaten zu begehen, sich als Flüchtlinge ausgeben, wenn sie geschnappt werden, und damit in erster Linie für den hohen Asylwerber-Anteil bei Deliktgruppen wie Raub und Diebstahl verantwortlich sind.

Vor ein paar Tagen hat eine Zeitung unter Berufung auf Polizeiquellen berichtet, dass Asylwerber aus dem Servitenkloster als ,beinharte Bosse der Schleppermafia‘ unglaubliche ,zehn Millionen Euro‘ scheffeln konnten. Worauf diese Behauptungen gründen, ist unklar. Vielleicht war in den Büros ihrer Urheber ja die Klimaanlage defekt.
Wahr ist: Gegen fünf Männer aus dem Servitenkloster besteht laut Staatsanwaltschaft der Verdacht, für ein paar hundert Euro eine ,noch festzustellende Anzahl von Fremden persönlich beim Grenzübertritt begleitet‘ zu haben – konkret in einem Fall per Zug von Budapest nach Wien. Beinharte Bosse sehen anders aus. Man braucht den Vorwurf aber auch nicht kleinreden. Er fällt nun einmal unter den Schlepperei-Paragrafen, und ihm wird gerichtlich nachgegangen.

Es gibt einiges, was die Leute beim Thema Asyl aufregt: zum Beispiel, dass Abgewiesene die Abschiebung mit allen juristischen Mitteln bekämpfen. Aber wozu haben wir einen Rechtsstaat, wenn er nicht in Anspruch genommen werden darf? Manche ärgert auch, dass all das natürlich Kosten verursacht. Aber muss deshalb irgendjemand in diesem Land finanzielle Nachteile befürchten? Im Übrigen würden gerade Wirtschaftsflüchtlinge nichts lieber tun, als selbst Geld zu verdienen. Das ist ja der Grund, warum sie kommen – nicht, um hier ein Leben als Sozialhilfeempfänger zu führen.
Es gibt unter Asylwerbern Gute und Böse, Sympathische und Unsympathische, Dankbare und Undankbare wie bei jeder größeren Gruppe von Menschen.

Und: Migration findet statt, ob uns das passt oder nicht. Wir können und wollen sie nicht schrankenlos zulassen. Wir schaffen sie aber auch nicht aus der Welt, indem wir Asylwerber als Feindbild und das ,Streben nach Glück‘ sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge als kriminellen Tatbestand betrachten. Sie sind kein Problem, das dieses Land substanziell bedroht. Und deshalb sollten wir sie auch nicht als solches behandeln.“

Das könnte man sagen als Innenministerin. Zu hören werden wir es aber kaum bekommen.

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