profil-Kolumnist Franz Schellhorn

Franz Schellhorn: Total neoliberal!

Intellektuelle schlagen Alarm: In Österreich drohe der „Hyperneoliberalismus“ den Sozialstaat in seine Kleinteile zu zerlegen.

Drucken

Schriftgröße

Es gibt Menschen, die kennen sich einfach aus. Sie wissen über so gut wie alles Bescheid, können komplexeste Sachverhalte in einfachen Sätzen erklären. Schauspieler zum Beispiel, oder Schriftsteller. Sie wissen, was läuft. Warum die Finanzkrise entstanden ist, wie global agierende Konzerne rücksichtslos Steuern hinterziehen, wieso Staaten gnadenlos kaputtgespart werden, warum es auf der Welt noch Armut gibt, was in der Bildungspolitik schiefläuft, wieso „Schwarz-Blau II“ noch schlimmer ist als „Schwarz-Blau I“. Schauspieler und Schriftsteller führen uns gerne hinter die Kulissen, ob wir das nun wollen oder nicht.

Warum Kulturjournalisten mit Vertretern der Kultur nicht mehr so gerne über Kultur sprechen, sondern lieber über das wirtschaftspolitische Weltgeschehen und die Niederungen der Innenpolitik, kann nur damit zu tun haben, dass die Vertreter der Kultur eben besonders viel über das wirtschaftspolitische Weltgeschehen und die Niederungen der Innenpolitik wissen. Sie müssen sich keine Biografie mehr über den neuen Kanzler reinziehen, fragen Sie einfach einen Kulturschaffenden, was im Innersten von Sebastian Kurz vorgeht und welche menschenverachtenden Pläne die neue Regierung gerade wälzt.

To put it in a nutshell: Es wird alles ziemlich arg werden. Mit der Machtübernahme der „Rechten“ werde nämlich der Staat konsequent minimiert und kaputtgeschlagen, wie Marlene Streeruwitz in profil Nr. 5/2018 enthüllte. Und das alles nur, um der neoliberalen Wirtschaft „restlos“ zuzuarbeiten. Das Wort „restlos“ verrät, dass die Marktradikalen schon sehr weit gekommen sind, jetzt nähern wir uns der finalen Phase. Das dürfte auch der Schriftsteller Franz Schuh so sehen, für ihn ist der Neoliberalismus gar eine „totalitäre Ideologie“.

Nun ist schwer zu sagen, wie viele Kulturschaffende wissen, was der Begriff „Neoliberalismus“ genau zu bedeuten hat. Das ist aber auch nicht so wichtig. Weil ohnehin jedem, der das Wort hört, sofort klar ist, worum es geht: um eine Politik gegen die Schwächsten der Schwachen. Um radikalen Sozialabbau, um gekürzte Staatshaushalte, um die Zerschlagung öffentlicher Unternehmen, um Steuersenkungen für die Reichen. Das alles ist nur deshalb möglich, weil die Politik zum Handlanger einer neoliberalen Wirtschaftsclique verkommen ist, der sie machtlos ausgesetzt ist.

Wie wenig die von neoliberalen Marktkräften gesteuerte Politik mittlerweile zu melden hat, lässt sich ja quasi an jeder Straßenecke beobachten. Die öffentlichen Ausgaben wurden auf ordoliberale 52 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt, der Staat ist somit nur noch hauchdünn der größte Wirtschaftsfaktor des Landes. Was wiederum alle gemeinwohl-ökonomischen Alarmglocken schrillen lassen sollte, die drohende Entstaatlichung unseres Lebens muss schließlich energisch gestoppt werden.

Hierzulande von Neoliberalismus zu sprechen, ist lachhaft.

Im Zuge der knallharten rotweißroten Spardoktrin war im Bundeshaushalt seit Ende des Zweiten Weltkrieges gezählte vier Mal am Jahresende noch Geld in der Staatskassa, „nur“ 68 Jahre durften neue Schulden angehäuft werden. Da sieht man schon, wie sehr die politischen Vertreter am Gängelband marktradikaler Ideologen hängen. Wie sehr sich die neoliberale Denke in den Köpfen der Politiker festgesetzt hat, lässt sich aber auch daran ablesen, dass die Sozialausgaben auf 100 Milliarden Euro oder knapp 30 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung gedrückt wurden. Wie soll mit derart bescheidenen Mitteln noch für sozialen Ausgleich gesorgt werden?

In der neoliberalen Hochleistungsgesellschaft müssen Menschen mittlerweile 38,5 Stunden die Woche bis zum Erreichen des 60. Lebensjahres durchschuften. Um sich dann für einen eingezahlten Pensions-Euro mit zwei Euro Rente abspeisen zu lassen. Bereits vier Prozent der Beschäftigten werden in Österreich nach Angebot und Nachfrage entlohnt, was wiederum heißt, dass nur noch 96 Prozent der Werktätigen vor den Launen wütender Märkte geschützt sind. Dieser Prozess der totalen Verökonomisierung der menschlichen Arbeitskraft wird noch furchtbar enden.

Aber jetzt einmal im Ernst: Hierzulande von Neoliberalismus zu sprechen, ist lachhaft. Es gibt in Österreich, wie „Standard“-Kolumnist Hans Rauscher unlängst anmerkte, nicht einmal den ganz „normalen“ Liberalismus, weder wirtschafts- noch gesellschaftspolitisch. Von einem Nachtwächterstaat ist weit und breit nichts zu sehen. Was es gibt, ist ein robuster Sozialstaat, der nach Kräften interveniert. Der dafür sorgt, dass die Kluft zwischen Arm und Reich nicht aufgeht, sondern leicht sinkt. Was es noch gibt, ist ein staatliches Pensions-, ein staatliches Bildungs- und ein staatliches Gesundheitssystem. Von der heillosen Überregulierung aller wirtschaftlichen Aktivitäten nicht zu reden.

Es wäre allerhöchste Zeit, den österreichischen Sozialstaat grundlegend zu modernisieren, um ihn auch für kommende Generationen finanzierbar zu halten. Aber das sagen natürlich nur Leute, die nicht aus dem Kunstbetrieb kommen – und folglich keine Ahnung haben.