Wir sind Spitzenuni! Oder doch nicht?
Gastkommentar von Gerald Schweiger
Europa verliert im globalen Wettbewerb um Wissen und Innovation rapide an Boden. Von 20 zentralen Forschungsfeldern führt Europa nur noch in zweien: Geschichte und Biologie. In allen anderen Disziplinen dominieren die USA und zunehmend auch China, besonders in Technik und Informatik. Dies weisen Hochschulrankings wie das „Times“- oder das QS-Ranking aus, die oft als Grundlage für den Vergleich von weltweit über 2000 Universitäten dienen.
Österreich, das dabei traditionell lediglich im Mittelfeld liegt, hat seit voriger Woche Anlass zur Freude, zumindest auf den ersten Blick: Die Universität Wien ist soeben als erste heimische Hochschule in die Top 100 des „Times“-Rankings aufgestiegen. Basis für dieses Ergebnis bilden die Geistes-, Kultur- und Bildungswissenschaften, Psychologie, Sozial- und Rechtswissenschaften – Bereiche, in denen die Universität Wien jeweils zu den besten 70 weltweit zählt.
Wir brauchen einen Fokus auf Technik
Allerdings: Um im Wettlauf um technologische Innovation eine gestaltende Rolle zu spielen, müsste Österreich gezielt die MINT-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) stärken, die maßgeblich von den Technischen Universitäten geprägt werden. Die TU Wien ist die führende Technische Universität des Landes (QS: Platz 197), gefolgt von der TU Graz (QS: Platz 427).
Unumstritten sind solche Rankings freilich nicht. Kritiker wie Adrian Barnett, Professor für Statistik und Metawissenschaften, verweisen darauf, dass sie komplexe Institutionen auf eine einzige Zahl reduzieren – als ließen sich Hochschulen wie Fußballvereine bewerten, deren Tabellenplätze eindeutig berechnet werden können. Im Unterschied zum Fußball sind die Indikatoren für Universitäten – von Forschungseinnahmen bis zur Studentenzufriedenheit – jedoch mit erheblichen Unsicherheiten behaftet.
Ein zentraler Bestandteil von Rankings sind bibliometrische Daten – Messgrößen rund um Publikationen und Zitationen, die zeigen, wie stark wissenschaftliche Arbeiten in der Fachwelt wahrgenommen werden. Ihre Schwächen sind ebenfalls gut dokumentiert, und ein naiver Umgang mit Metriken – etwa das bloße Zählen von Zitationen – gilt heute nicht mehr als akzeptierte Praxis. Für aussagekräftige Vergleiche braucht es eine fachspezifische Normalisierung: Entscheidend ist dabei, ob eine Publikation zu den besten ihres Fachgebiets zählt. Diese normalisierten Kennzahlen liefert das von der Universität Leiden entwickelte Leiden Ranking. Gemessen am relativen Anteil der besten zehn Prozent der Publikationen am gesamten Forschungsoutput liegt die Universität Wien auf Rang 197, die TU Wien als beste Technische Universität im Bereich Technik und Naturwissenschaften auf Rang 455 und bei Mathematik und Informatik auf Rang 619.
Wo sind die Effekte hoher Investitionen?
Diese Reihung klingt nun nicht mehr ganz so erfreulich. Dabei zählt Österreich, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, zu den führenden Ländern bei Investitionen in die Forschung. Warum schlägt sich das nicht in besseren Rankings nieder? Unternehmen wir einen Versuch, mögliche Ursachen zu identifizieren.
Erstens: In Österreich gibt es sehr viele öffentliche Universitäten – doppelt so viele wie in der Schweiz bei ähnlicher Einwohnerzahl. Statt, wie vom WIFO vorgeschlagen, die Zahl der Universitäten durch Zusammenführungen zu reduzieren, entstand in den letzten Jahren mit der Inter-
disciplinary Transformation University (IT:U) in Linz sogar noch eine zusätzliche Uni. Rechtliche Sonderkonstruktionen, absurde inhaltliche Beschreibungen und intransparente Finanzierung riefen breite Kritik hervor. Es gilt noch eine Person zu finden, die nicht direkt mit der neuen Universität in Verbindung steht und diese Gründung als Gewinn für den akademischen Standort Österreich begrüßt.
Die Nachteile der Gießkanne
Zweitens: Spitzenuniversitäten entstehen selten, indem Mittel möglichst gleichmäßig über alle Hochschulen gestreut werden. Das Gießkannenprinzip mag zwar gerecht klingen, Weltklasseforschung gedeiht dadurch aber kaum. Österreich könnte sich ein Beispiel an der Schweiz nehmen, wo die ETH Zürich und die EPFL in Lausanne deutlich höhere Mittel erhalten als andere Universitäten. Man konzentriert sich dort somit gezielt auf ausgewählte Unis und gewährt ihnen ein attraktiveres finanzielles Fundament, das wissenschaftliche Höchstleistungen wahrscheinlicher macht.
Drittens: Die Verteilung von Forschungsmitteln mittels Projektanträgen, die im Wettbewerb stehen, bremst die Wissenschaft. Dieser Prozess verspricht zwar Fairness und Effizienz, verursacht jedoch enorme Opportunitätskosten – Begleitkosten, die dadurch entstehen, dass Arbeitszeit nicht der Kernaufgabe zugutekommt, nämlich der Forschung. Ein Beispiel: Für die Einreichung eines einzigen Forschungsantrags bei der FFG (der zentralen Organisation für angewandte Forschung in Österreich) werden rund 50 Tage benötigt.
Die Opportunitätskosten hängen maßgeblich vom Verhältnis eingereichter zu akzeptierter Projekte ab. Die FFG hat nur ein Mal, im Jahr 2018, die Bewilligungsquote für ein Programm im Bereich der Energieforschung offengelegt. Damals wurden lediglich 17 Prozent der eingereichten Projekte gefördert. Nach einer kritischen Studie, die diese geringe Quote thematisierte, ist der Bericht inzwischen zwar offline, dennoch lassen sich die Opportunitätskosten für diese Ausschreibung anhand verschiedener Indikatoren abschätzen: Rund die Hälfte der Mittel wurde nicht für die Forschung selbst, sondern für das Schreiben von Anträgen aufgewandt.
Die Finanzierung dreht sich im Kreis
John Ioannidis, einer der weltweit meistzitierten Wissenschafter und Pionier der Metaforschung an der Stanford University, ergänzt: „Wenn man den Begutachtungsprozess, die Verwaltungskosten für die Förderorganisationen und das Projektmanagement während der geförderten Projekte miteinbezieht, wird diese Zahl noch höher. Forschungsgelder werden zu einem großen Teil verschwendet, damit sich das Finanzierungssystem im Kreis dreht.“
Anders als der für Grundlagenforschung zuständige FWF, der auf Transparenz setzt und neue Wege der Forschungsförderung erprobt, veröffentlicht die FFG in den vergangenen Jahren nicht einmal mehr Daten zu Akzeptanzquoten – auch nicht auf wiederholte Anfragen für rein wissenschaftliche Analysen.
Neben den hohen kollateralen Kosten ist die Zuverlässigkeit des Auswahlprozesses sowie die mangelnde Korrelation zwischen Entscheidungen im Auswahlverfahren und dem späteren wissenschaftlichen Erfolg eine zentrale Kritik an aktuellen Fördersystemen. Das überrascht nicht: Den potenziellen Nutzen von Forschung vorherzusagen, ist extrem schwierig. Wer hätte geahnt, dass ein Forschungsantrag mit dem Titel „Warum leuchten Quallen?“ zu bedeutsamen Entdeckungen führen würde, die den beteiligten Wissenschaftern einen Nobelpreis einbringen?
Wissenschafter haben in den vergangenen Jahren alternative Fördermethoden vorgeschlagen, etwa ein initiales Lotterieverfahren, bei dem per Zufall entschieden wird, wer einen Antrag einreichen darf – schließlich weiß man bei neugiergetriebener Grundlagenforschung vorher nie, welche Ansätze in Durchbrüche münden. In Australien wurde ein Modell getestet, bei dem Wissenschafter Kollegen nominieren, die sie für besonders förderwürdig halten. Eine weitere Option ist die nachträgliche Förderung wissenschaftlicher Erfolge, etwa durch eine dauerhafte Grundfinanzierung, wie sie die Direktoren der Max-Planck- Institute erhalten.
Fördermittel als Geschäftsmodell
Viertens, und dieser Punkt knüpft direkt an: Die Forschung in Österreich fokussiert zu stark auf Anwendungen. In der angewandten Forschung hat sich ein Ökosystem etabliert, in dem Versprechungen konkreter, praktisch relevanter Forschungsergebnisse bewertet werden, während tatsächliche wissenschaftliche Entwicklungen für den Erfolg bei der Einwerbung künftiger Fördermittel kaum eine Rolle spielen. Für viele – vor allem außeruniversitäre Akteure – ist das ein attraktives Geschäftsmodell geworden. Der Physiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger bemerkte dazu einmal pointiert, dass einiges, was als angewandte Forschung bezeichnet werde, vielleicht nicht wirklich Forschung sei.
Globale Wissenszentren verschieben sich momentan rapide. Gerade in diesem Umfeld ist die Bedeutung von Forschung und Innovation größer denn je. Wenn Österreich im Wettbewerb um die großen Würfe der Wissenschaft vorn mitspielen will, braucht es international konkurrenzfähige Spitzenforschung, auch in Gestalt einer (technischen) Spitzenuniversität, deren Leistung sich in Rankings niederschlägt. Denn diese sind nun mal ein Magnet für Spitzenforscher, Unternehmen und begabte Studierende – egal ob man diese Listen nun sympathisch findet oder nicht.