Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof 2014 – Jahr des Joints

2014 – Jahr des Joints

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Eine Person des Jahres zu finden, ist nicht einfach. Das wissen die Medien, die sich dieser Übung jedes Jahr im Dezember unterziehen. Umso schwieriger ist das, was der „Economist“ heuer erstmals unternommen hat: auf die Suche nach einem „Land des Jahres 2013“ zu gehen. Das Wochenmagazin kam zu einem überraschenden Ergebnis: Uruguay!
Uruguay? Wie kommt dieses kleine, einigermaßen unbedeutende lateinamerikanische Land zu dieser Ehre?

Man kann dies besser nachvollziehen, wenn man sich die Kriterien vor Augen führt, die der „Economist“ seiner Auswahl zugrunde legt: „Wir glauben, dass die am meisten auszeichnungswürdigen Leistungen wegweisende Reformen sind, die nicht nur eine einzelne Nation vorwärts bringen, sondern – so sie nachgeahmt werden – die gesamte Welt zum Besseren führen.“ Und was ist die so lobenswerte Reform des Jahres 2013?
Anfang Dezember wurde in Montevideo Produktion, Verkauf und Konsum von Marihuana für legal erklärt. Künftig darf in Uruguay jeder Kiffer sechs Cannabispflanzen besitzen und jährlich 480 Gramm produzieren. Eingetragene Clubs können bis zu 99 Hanfstauden pflegen. Verkauft werden soll das Rauschmittel in Apotheken, Konsumenten müssen sich registrieren lassen und dürfen monatlich höchstens 40 Gramm erwerben. Anbau und Handel werden staatlich kontrolliert. Deklariertes Ziel der Regierung: das Austrocknen des illegalen Marihuana-Marktes. Uruguay ist somit der erste Staat der Welt, der auf diese Weise offensiv der Drogenmafia die Geschäftsgrundlage entreißen will.

Die Entkriminalisierung von Hasch und Gras ist freilich auch anderswo en vogue. Die Holländer haben seit Langem ihre Coffeeshops. Viele Staaten machen bereits Lockerungsübungen, wenn es bloß um Konsum und Besitz von Cannabis-Produkten geht. Und in Nordamerika sind bereits zwei Bundesstaaten – Colorado und Washington – vergangenes Jahr Uruguay mit der Totalliberalisierung vorangegangen. In den vergangenen Jahren haben zudem dutzende US-Staaten den medizinischen Gebrauch von Marihuana legalisiert. Was vor nicht allzu langer Zeit der Slogan einer kleinen Minderheit von Alt-Hippies und Jung-Hipstern war – „Legalize it!“ –, ist heute in den USA mehrheitsfähig: Nur noch 30 Prozent der Amerikaner wollen friedliche Jointraucher und freundliche Hanfgärtner hinter Gefängnismauern sehen.

Das Ende der weltweiten Cannabis-Prohibition zeichnet sich ab. Und das hat ganz handfeste Ursachen: Der unter US-Präsident Richard Nixon Anfang der 1970er-Jahre ausgerufene „War on Drugs“ ist nicht nur dramatisch gescheitert – der Konsum von Rauschmitteln wurde nicht geringer und das Geschäft der Mafia-Kartelle floriert mehr denn je –, der US-Drogenkrieg hatte vor allem auch desaströse Folgen. Zunächst in den USA selbst. Seit den 1980er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich die Zahl der Gefängnisinsassen versiebenfacht(!). Jeder hundertste erwachsene US-Bürger sitzt im Knast. Und das geht zu einem Gutteil auf das Konto der drakonischen Drogenpolitik. Dass hunderttausende harmlose Kiffer oder Kleinstdealer jahrelang hinter Gitter müssen, wird immer weniger von der Öffentlichkeit akzeptiert. Sogar konservative Kreise schließen sich da an: Die Ausgaben für die maßlos überfüllten Gefängnisse könne sich der Staat nicht länger leisten, argumentieren sie.

In den Staatskanzleien Lateinamerikas wiederum herrscht heute Konsens, dass die von den USA forcierte Politik endlich beendet werden müsse. In einem Aufruf formulieren drei Ex-Präsidenten – Fernando Henrique Cardoso aus Brasilien, César Gaviria aus Kolumbien und Ernesto Zedillo aus Mexiko – pointiert: Der Anstieg von Gewalt und Korruption – vor allem in Mittelamerika – beweise nur, „dass die Kriminalisierung der Drogen erst die Probleme hervorbringt, welche der Krieg gegen die Drogen dann bekämpfen sollte“.

Uruguay ist mutig zur Tat geschritten und hat Frieden mit der Droge Cannabis geschlossen. Bei der Entscheidung des „Economist“, das kleine Land zu ehren, hat aber auch der Politiker eine Rolle gespielt, der die historische Entscheidung getroffen hat: Staatspräsident José Mujica ist tatsächlich eine beeindruckende Figur. Einst kämpfte der heute 78-jährige gelernte Blumenzüchter als führendes Mitglied der Tupamaros-Guerilla gegen die Militärdiktatur in seinem Land, saß 14 Jahre seines Lebens im Gefängnis, bekennt sich zum Atheismus und könnte volksnaher nicht sein: Er lebt in einem kleinen Vorstadthaus, fährt einen alten VW-Käfer und spendet neun Zehntel seines Präsidentengehalts an kleine Unternehmen und NGOs. Das sonst so nüchterne britische Blatt schwärmt geradezu von diesem „pragmatischen Linkspolitiker“: Er sei „bescheiden und kühn, liberal und lebenslustig“.

Wir erleben jedenfalls in Sachen Drogen einen Paradigmenwechsel, der in seiner Radikalität nur mit dem Meinungsumschwung in Sachen Homo-Ehe vergleichbar ist. Da mag man über die Krise der politischen Systeme klagen und einen Zug zum Autoritären entdecken – in den tieferen Schichten des gesellschaftlichen Lebens sind aber, wie diese beiden Bereiche zeigen, durchaus liberale und zivilisatorische Fortschritte zu verzeichnen.
Uruguay war das Land des Jahres 2013. Vielleicht können wir kommenden Dezember das Jahr 2014 als Jahr des Joints feiern.

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