Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Dachschaden

Dachschaden

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Es ist eigentlich eine Nebensächlichkeit. Ob nur das undichte Dach und die zusammenbrechenden Abgeordnetensessel am Ring erneuert werden oder der Theophil-Hansen-Palast von Grund auf, inklusive Ausbau des Dachgeschoßes, saniert wird, ob das in einem schnell oder in Etappen langsam bewerkstelligt wird – all das ist nur von mäßigem Interesse. Wie aber über die Renovierung des Parlamentsgebäudes diskutiert wird, ist symptomatisch und macht klar: Um die Demokratie in Österreich ist es nicht zum Besten bestellt.

Da hatte die Parlamentspräsidentin Barbara Prammer ­Anfang des Vorjahrs die Reparatur schon einmal abgeblasen: Angesichts der Wirtschaftskrise würden die Menschen nicht einsehen, dass so viel Geld für die Renovierung des Hohen Hauses ausgegeben wird. Die Angst vor dem Volkszorn ließ ein wenig nach, als bekannt wurde, dass es ins Gebäude hineinregnet. Dieser Tage nun wurde die Sanierung wieder vertagt. Wir sind ja in einem Wahljahr. Besonders aber kam in der Öffentlichkeit die Idee unter Beschuss, mit einem Dachausbau könnte man jene Abgeordnetenbüros schaffen, die wegen Platzmangels bisher notdürftig in umliegende Gebäude ausgelagert werden mussten. Nein, solch einen „Luxus“ könne man sich in Zeiten knapper Kassen keineswegs leisten, ­lautet der allgemeine Tenor.
Wer aber nur ein wenig über die Grenzen blickt, der weiß: Die Ausstattung des österreichischen Parlamentarismus ist im Vergleich zu den übrigen westeuropäischen Staaten geradezu erbärmlich. Den Abgeordneten steht für ihre Tätigkeit nur ein Bruchteil jener personellen und räumlichen Ressourcen zur Verfügung, mit denen in anderen EU-Metropolen die Volksvertreter rechnen können. Mit dem Ergebnis, dass viele unserer Abgeordneten direkt aus den Verbänden und Parteien – die über die Maßen gut dotiert sind – arbeiten, was nicht gerade die Unabhängigkeit der Mandatare fördert.

Die notorische Unterfinanzierung des österreichischen Parlaments drückt die gesellschaftliche Geringschätzung gegenüber dem Herzstück der Demokratie aus. Und sie spiegelt gleichzeitig das traditionelle Übergewicht der Exekutive, der Verwaltung also, gegenüber der Legislative wider. Auch bei der Gerichtsbarkeit wird skandalös gespart. Seit Kurzem kommt aber noch etwas hinzu, das die „Salzburger Nachrichten“ einen „direktdemokratischen Furor“ nennen, der das Land durchzieht.

Überall soll das Volk ran. Da erlebten wir nicht nur das Schmäh-Plebiszit über die Hausmeister und die Kampfhunde in Wien, das als schlitzohrige Wahlkampfmobilisierung durchgehen könnte, aber von den Sozialdemokraten als Sieg der direkten Demokratie gefeiert wird. Das BZÖ will eine Volksbefragung zum Bettelverbot in Graz. Asylerstaufnahmelager sollen nur dort errichtet werden, wo die Bevölkerung dem zustimmt, was letztlich das Asylrecht als solches ad absurdum führt. Die FPÖ würde liebend gern die Menschen – nach Schweizer Vorbild – mit einem Referendum gegen Minarette aufhetzen. Nicht zu vergessen der berüchtigte Brief von Werner Faymann und Alfred Gusenbauer an Hans Dichand, in dem versprochen wird, bei Vertragsänderungen in der EU Volksabstimmungen abzuhalten.

Die Regierung in Wien will ohne Zustimmung der Kärntner das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu den Ortstafeln nicht durchsetzen, obwohl es dafür nur eines Parlamentsbeschlusses bedürfte. Landeshauptmann Gerhard Dörfler macht klar: Er wird sich an der Meinung seiner Kärntner orientieren und nicht am Spruch der hohen Richter. Und die Innenministerin Maria Fekter fühlt sich zum Einsperren von unbescholtenen Asylwerbern legitimiert, weil sie angeblich „die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich“ weiß.

Es ist fatal: Allmählich setzt sich die Idee durch, die direkte Demokratie sei eine entwickeltere Form der Demokratie, der Volkeswille rangiere letztlich höher als die verfassungsmäßig eingerichteten Institutionen des politischen Systems. Das ist überaus gefährlich, denn es untergräbt sukzessive den Rechtsstaat. Volksbefragungen und -begehren, Plebiszite und Referenden werden zudem in den allermeisten Fällen initiiert von Demagogen und Populisten oder von feigen und prinzipienlosen Politikern, die sich vor Entscheidungen drücken wollen.

Wer um den Stand der Demokratie im Land besorgt ist, der darf nicht nach mehr direkter Demokratie rufen. Im Gegenteil. Es gilt vielmehr, das System der repräsentativen Demokratie zu stärken. Es hat sich schließlich bewährt, dass man mit seiner Stimmabgabe Politiker und Parteien delegiert, die man wieder abwählen kann, wenn einem deren Entscheidungen nicht passen. Zwischen den Wahlgängen kann man demonstrieren, streiken, Artikel schreiben, in Vereinen, NGOs und anderswo politisch aktiv sein. Und wenn sich heute viele Menschen von den zur Wahl stehenden Parteien absolut nicht mehr vertreten fühlen, dann besteht die Möglichkeit, neue Parteien zu gründen. Höchste Zeit wäre es. Nein, bei der Demokratie darf man nicht sparen. Totalsaniert werden muss aber offenbar nicht nur der Prachtbau am Ring, sondern die österreichische Demokratie in ihrer Gesamtheit.

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Georg Hoffmann-Ostenhof