Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Daumendrücken für Matteo

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„Es war wie die öffentliche Schlachtung der Giraffe im Kopenhagener Zoo“, berichtete ein Teilnehmer der Vorstandssitzung: Am Donnerstag Abend servierten die italienischen Sozialdemokraten Enrico Letta, ihren eigenen Premier, der sich bis zum Schluss gegen seinen Sturz gewehrt hatte, kalt ab, um den jungen Florentiner Bürgermeister und jüngst gekürten Parteivorsitzenden Matteo Renzi als Regierungschef in Rom zu inthronisieren. Renzi versucht nun die bisher bereits überaus prekäre Koalition mit der italienischen Rechten fortzuführen. Und das inmitten der schwersten Krise, die Italien seit 1945 erlebt.

Man stelle sich vor, dieser palastintrigante Regierungswechsel am Tiber hätte vor zwei Jahren stattgefunden, und damals hätte sich ein gewiss charismatischer, aber in der nationalen wie internationalen Politik unerfahrener Kommunalpolitiker wie Renzi an die Spitze des ökonomisch drittwichtigsten Landes der Eurozone „geputscht“ – es hätte kein Halten gegeben: Die europäischen Börsen wären abgesackt, die Zinsen, die das hoch verschuldete Italien für Anleihen zahlen muss, in lichte Höhen geschnellt, und man hätte das definitive Ende des Euro ausgerufen.

Nichts dergleichen geschah jetzt. Die Märkte zeigten sich so gelassen wie die Ratingagenturen. Und Apokalyptisches sucht man in den italienischen und internationalen Reaktionen vergebens. Der fliegende Wechsel in Rom wird sogar mit einer gewissen Freundlichkeit kommentiert.

Zunächst zeigt das nur, wie weit die Eurozone ihre existenzielle Krise hinter sich gelassen, und wie sehr sich, trotz allem, Europa inzwischen konsolidiert hat. Erst in zweiter Linie ist die mangelnde Aufgeregtheit angesichts der römischen Turbulenzen auf die Person des Neuen zurückzuführen.

Sympathien fliegen ihm von vielen Seiten zu. Zunächst beeindruckt das Geschick, mit dem es dem 38-jährigen Renzi in nur kurzer Zeit gelang, ganz nach oben zu kommen. Anerkennend wird davon gesprochen, dass er offenbar seinen Machiavelli – ein Florentiner wie er – gelesen hat. Aber reicht der ihm nachgesagte unbändige Machtwille, der ihn nun in den Palazzo Chigi führt, aus, um auch seine Versprechen einzulösen, Italien „aus dem Sumpf“ zu holen und mit radikalen Reformen den unerträglichen Stillstand zu überwinden?

Da kann man schon skeptischer sein. Das so abgewirtschaftete Land zu dynamisieren und zu modernisieren: Das war schließlich schon das Programm von mehreren Ministerpräsidenten der vergangenen 20 Jahre. Und es blieb jeweils beim Vorsatz. Warum sollte Renzi das können, was seine Vorgänger – von Silvio Berlusconi über Romano Prodi und Mario Monti bis zu dem jetzt so unfein in die Wüste geschickten Letta – nicht schafften? Matteo Renzis größtes Atout ist seine Jugend. Das sei keine politische Kategorie, könnte man einwenden. In Italien aber vielleicht doch. Denn da haben seit Jahr und Tag die Alten das Sagen. In Rom herrscht eine Gerontokratie.

Nicht nur sind die Italiener die drittälteste Bevölkerung der Welt. Ein archaisches Wahlgesetz sorgt auch dafür, dass 70 Jahre lang Parlament und Regierung von den Ältesten dominiert wurden. So muss man etwa mindestens 25 Jahre alt sein, um die Abgeordneten zum Senat, der zweiten Kammer, zu wählen: „In Zeiten hoher Jugendarbeitslosigkeit ist es geradezu zynisch, wenn die Hauptbetroffenen der Krise nicht die Gesamtheit der Parlamentarier wählen dürfen“, moniert der Schweizer Politikwissenschaftler Marco Morosini.

Und er zitiert eine Untersuchung der Universität von Kalabrien, wonach die italienischen ­Politiker mit einem durchschnittlichen Alter von 59 Jahren die ältesten in ganz Europa sind. Bezeichnend, dass der heute 87-jährige Staatspräsident ­Giorgio Napolitano, jener Mann, der demnächst Renzi angeloben wird, bereits 1953 im italienischen Parlament saß. Während der drei Wahlperioden vor 2013 waren nur zwei von 2500 Abgeordneten unter 30. Und nicht nur die politische Elite ist überaltert. Das Durchschnittsalter der Universitätsprofessoren beträgt 63 Jahre, der Bankiers und ­Bischöfe 67. Morosini: „Sieben Jahrzehnte Gerontokratie h­aben in Italien die Generationserneuerung, die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit gelähmt.“

Matteo Renzi ist angetreten, um die alten Parteigarden und überhaupt die ganze alte Politikerkaste Italiens zu „verschrotten“, wie er einst sagte. Zwei Granden seines Partito Democratico hat er bereits entsorgt: Parteichef Pierluigi Bersani löste er im vergangenen Dezember ab und vergangene Woche verjagte er Letta. Die Zeit der elegant-mafiösen Senioren à la Giulio Andreotti, der feinen alten Pragmatiker à la Mario Monti und der ordinären Lustgreise à la Silvio Berlusconi ist abgelaufen: Das signalisiert Matteo Renzi in seinem jugendlichen und auch brutalen Ungestüm. Er steht für einen längst fälligen Generationswechsel der italienischen Politik.

Ob aber der Bewunderer von Barack Obama und Tony Blair tatsächlich die Kraft aufbringt, den Klub der alten Männer zu entmachten und jene von politischen Clans und Interessensklüngeln dicht gesponnenen Uraltnetze zu zerreißen, die schon so lange Italien fesseln, ist natürlich ungewiss. Die Daumen sollte man Matteo Renzi jedenfalls halten.

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