Wohl oder übel müssen die zerstrittenen Franzosen und Deutschen einen Relaunch ihrer Freundschaft starten

Georg Hoffmann-Ostenhof: Der große Kompromiss

Der große Kompromiss

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Es ist bekannt: Die Deutschen wollen, dass gespart, und die Franzosen, dass investiert wird. Der Gegensatz dessen, was Paris und was Berlin in Europa für wirtschaftspolitisch angesagt halten, kann größer nicht sein.
Vergangene Woche wollte die französische Regierung diese Kluft mit einem Vorschlag überbrücken: Deutschland möge in den kommenden drei Jahren so viel investieren, wie Frankreich sparen wolle. Der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron nannte auch Zahlen: „50 Milliarden Euro Einsparungen bei uns und 50 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen bei Ihnen – das wäre doch ein gutes Gleichgewicht.“ Eine elegante Pariser Formel, deren Schönheit man in Berlin partout nicht erkennen wollte.

„Es ist unverfroren, dass Frankreich von uns fordert, mehr Geld auszugeben“, empörte sich der Christdemokrat Herbert Reul, Merkels erster Mann im Europaparlament: „Wer sich nicht an die gemeinsamen Haushaltsregeln hält, also seine Hausaufgaben nicht macht, sollte sich mit guten Ratschlägen zurückhalten.“ Auch die deutschen Medien empfanden den französischen Vorschlag mehrheitlich als „Zumutung“.

Es sieht ganz nach einem endgültigen Bruch der so oft beschworenen deutsch-französischen Achse aus. Und wenn die tiefen Differenzen zwischen Paris und Berlin nicht überwunden werden, könnte daraus ein Totalschaden werden.

Dennoch deutet vieles darauf hin, dass die Regierungen der zwei wichtigsten EU-Länder in den kommenden Wochen noch zu einem Kompromiss kommen werden. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel. Und es eilt.

Seit Kurzem liegen die Budgetvoranschläge der EU-Länder – darunter jener Frankreichs – bei der EU-Kommission in Brüssel. Diese muss demnächst entscheiden, ob die Haushaltspolitik der verschiedenen Länder die Vorschriften des Europäischen Stabilitätspaktes befolgt oder ob sie gegen die Regeln verstößt. Sollte Brüssel zum Schluss kommen, dass Frankreich zu wenig gespart und reformiert habe und deshalb mit Sanktionen bestraft werden müsse, zöge das eine politische Krise nach sich, die sich gewaschen hätte: Die Reaktionen der Märkte wären unkalkulierbar, die Glaubwürdigkeit der EU als Ganzes und der gemeinsamen Währung im Besonderen in Frage gestellt. Man wird sich also wahrscheinlich hüten, es zum Äußersten kommen zu lassen, und versuchen, alle nur möglichen Spielräume des Stabilitätspaktes auszuloten und kreativ zu interpretieren. Natürlich werden sich Länder wie Griechenland, Portugal und die anderen, die Opfer einer
rigiden Auslegung des Paktes wurden, aufregen – unter dem Motto: Die Kleinen werden geprügelt, bei den Großen ist man generös. Die „richten es sich“. Gleichzeitig wird sich aber die Entrüstung der notleidenden, von der EU-Troika gequälten Südländer in Grenzen halten. Sie sind mit den Franzosen letztlich solidarisch. Immerhin fordert Paris doch, wie auch sie, seit Jahr und Tag eine flexible Auslegung, wenn nicht sogar Abschaffung des europäischen Sparpaktes.

Was noch für eine gütliche Beilegung des deutsch-französischen Streites spricht, ist die wirtschaftliche Entwicklung Europas, die bedrohlicher nicht sein könnte. Und diesmal ist selbst die noch vor Kurzem so gepriesene deutsche Ökonomie betroffen. Auch sie schwächelt bereits. Die Märkte, von denen die deutsche Exportindustrie so gut gelebt hat, sind nicht zuletzt wegen der von Berlin so forcierten Austerität immer weniger aufnahmefähig. (Siehe auch den Kommentar von Peter Michael Lingens)

Inzwischen ist es nicht mehr nur das Ausland, das Berlin drängt, endlich mehr zu investieren. Auch im Land selbst werden die Stimmen immer lauter, die eine gezielte aktive Wachstumspolitik einfordern. So klagte etwa der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) erst kürzlich, dass die öffentlichen Investitionen im Land seit 2002 kontinuierlich sinken und nirgendwo sonst in der EU so gering sind wie in Deutschland. Und der Koalitionspartner der Merkel’schen Christdemokraten, die SPD, die an und für sich ihren Sparkurs mitträgt, findet jäh positive Worte für das Pariser Ansinnen, dass Deutschland endlich Geld zur Wirtschaftsankurbelung in die Hand nehmen müsse. Selbst im Umfeld der Kanzlerin hört man immer öfter von der Notwendigkeit, zu investieren.

Schließlich weht auch aus Brüssel ein neuer Wind: Der frisch gekürte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat etwas sehr französisch Klingendes angekündigt: Im Kampf gegen die drohende Rezession will er ein gesamteuropäisches Konjunkturpaket von 300 Milliarden Euro schnüren. Dass sich Merkel über den Vorstoß des luxemburgischen Christdemokraten ärgert, ist evident. Aber die EU-Kommission unter Juncker hat mehr Gewicht, mehr Legitimation und ist stärker im EU-Kräfteparallelogramm als alle Kommissionen bisher. Das weiß auch Angela Merkel.

Die Situation ist dramatisch. Die USA und Institutionen wie der Internationale Währungsfonds und die OECD fordern immer dringender eine aktive Wachstumspolitik. Sie haben Angst, eine Rezession in der EU könnte die gesamte Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds führen.

Vor diesem Hintergrund wird klar, wie wichtig es ist, dass die zwei zentralen Nationen Europas ihre Freundschaft erneuern und einen großen Kompromiss schließen. Der wird wohl der Logik des vergangene Woche von Paris so keck formulierten Vorschlags folgen müssen.

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Georg Hoffmann-Ostenhof