Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Der Tabubruch

Der Tabubruch

Drucken

Schriftgröße

Der große Aufschrei blieb bisher aus. Der Tabubruch hat kaum aufgeregt. Der nach dem jüngsten Wahldebakel frisch gekürte SPD-Chef Sigmar Gabriel machte gleich in der ersten Pressekonferenz klar: Er habe nichts dagegen, mit der Linkspartei von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi auf Bundesebene zu koalieren. Inmitten der depressiven Richtungsdiskussion bei den abgestürzten Sozialdemokraten und der freudigen bürgerlichen Erwartung der nun anbrechenden schwarzgelben Ära ist untergegangen, dass Gabriels Ankündigung eines möglichen künftigen Regierungsbündnisses mit den Linken die politische Tektonik in Deutschland grundlegend verschiebt.

Bisher galt allgemein: Mit der Nachfolgeorganisation der DDR-Staatspartei SED ist kein deutscher Staat zu machen. Auf Landesebene im Osten des Landes, ja, da könne man eventuell mit den politischen Enkeln von Ulbricht, Honecker & Co gemeinsame Sache machen. Aber auf Bundesebene – niemals! Und dieser Grundsatz änderte sich auch nicht, als sich die ostdeutschen Postkommunisten mit westdeutschen linken Gewerkschaftern und Sozialdemokraten zur Linkspartei fusionierten. Nein, die Partei der ehemaligen Stasi-Spitzel und des schnöde desertierten ehemaligen Sozi-Chefs Oskar Lafontaine sei keine „normale Partei“, sie an der Macht in Berlin zu beteiligen wäre ein Sakrileg. So hieß es bisher.
Und jetzt der Kurswechsel.

Unerwartet kam dieser aber nicht wirklich. Zunächst war die Ausgrenzung der postkommunistischen Partei ohnehin ein deutscher Sonderweg. In fast allen Reformstaaten Osteuropas haben sich die ehemaligen KP-Staatsparteien in wenigen Jahren reformiert und in Koalitionen oder allein in den vergangenen zwei Jahrzehnten teils sehr erfolgreiche Regierungen gebildet – auch mit Ministern, die früher kommunistische Funktionäre waren. Und wenn diese Parteien abgewählt wurden, sind sie auch tatsächlich gegangen. Nirgendwo musste man Angst vor einer Wiederkehr der kommunistischen Diktatur haben. Dass die SED-Nachfolger als jene Schmuddelkinder gesehen wurden, mit denen nicht gespielt werden durfte, liegt wohl an der Geschichte der deutschen Teilung in BRD und DDR. Der „neurotische Antikommunismus“, wie ihn Ex-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer beklagt hat, dürfte nun aber unwiderruflich zu Ende sein.

Für die SPD ist der Kurswechsel letztlich eine Frage des Überlebens. Wie es aussieht, wäre die Aussicht, wieder einmal den deutschen Kanzler zu stellen, ohne die Option Linkspartei auf längere Sicht verbaut. Schwarz-Gelb wäre wohl auf Dauer gesichert. Im besten Fall könnten die Sozialdemokraten auf die – wie man in den vergangenen Jahren sah – undankbare Rolle eines Juniorpartners in einer konservativ geführten großen Koalition hoffen.

Im Unterschied zu Österreich, wo die sozialdemokratische Partei fast immer ein linkes Monopol hatte (die KPÖ spielte nur im Widerstand gegen Ständestaat und Hitlerdiktatur eine relevante Rolle, und die Grünen kamen erst in den achtziger Jahren auf), herrscht in Deutschland traditionellerweise ein linker Pluralismus. Schon gleich nach dem Ersten Weltkrieg, zu Beginn der Weimarer Republik, zählte die linke SPD-Abspaltung USPD Millionen von Mitgliedern, die dann gegründete Kommunistische Partei KPD war zuweilen nicht viel schwächer als die SPD. Im Kalten Krieg nach 1945 drückte sich der linke Pluralismus zunächst territorial aus: im Osten die Kommunisten, im Westen die Sozialdemokraten. Dann kamen die Öko-Grünen. Und jetzt, 20 Jahre nach dem Untergang der DDR, dürfte sich mit der Gysi-Lafontaine-Partei eine dritte Kraft in der Linken in Gesamtdeutschland fest etabliert ­haben.

Eine rot-rot-grüne Regierung mit einer satten Mehrheit links der Mitte wäre schon für 2013 eine plausible Perspektive. Die SPD dürfte nur in ihrer jetzt so hektischen Identitätssuche nicht der Versuchung erliegen, allzu weit nach links zu driften. Dann verlöre sie vollends die Mittelschichten. (Eine Million SPD-Wähler von 2005 sind bereits 2009 zur CDU abgewandert.) Die Grünen mit ihrem linksliberalen Reformkurs könnten weiter in der politischen Mitte grasen. Und ein nicht kleiner Teil des Protests gegen den sicher als ungerecht empfundenen schwarz-gelben Sparkurs, der nach der großen Krise wie das Amen im Gebet kommt, würde sich in der Linkspartei wiedererkennen. Das ist auch der große Unterschied zu Österreich: Während sich in Deutschland die Abwendung von der etablierten Politik im Wachsen der Linkspartei ausdrückt, radikalisieren sich die Leute bei uns nach rechts. Die FPÖ bekommt Zulauf.

Als ich vor Kurzem diese Tatsache bedauernd feststellte, fragte ein Leserbriefschreiber, was mich zur Annahme brächte, dass der Populismus von Gysi und Lafontaine dem Rechtspopulismus eines Heinz-Christian Strache vorzuziehen sei. Hier der Versuch einer Antwort: Zweifellos ist auch die Linkspartei höchst unsympathisch. Allein ihre Entstehungsgeschichte macht sie für viele unwählbar. Auch sie agiert populistisch und mobilisiert Ressentiments. Aber besteht da nicht ein wesentlicher Unterschied? Die Linkspartei weckt Ressentiments gegen die Mächtigen und Reichen – gegen „oben“. Die Rechtspopulisten ausschließlich gegen „unten“ – gegen Einwanderer und Asylwerber. Sicher: Die Linkslinken sind so wie die Rechtsrechten gegen die EU. Aber auch da macht der Unterschied sicher. Die antieuropäische Haltung der FPÖ und ähnlicher Formationen ist radikal-nationalistisch grundiert. Der Anti-Brüssel-Reflex der Linkspopulisten nicht.
Sagen wir es klar: Eine kleine Partei links von der SPÖ täte Österreich ganz gut. Da hätte der Protest eine Alternative. Er könnte auswählen, wohin er sich wenden will, nach links oder nach rechts. Und das würde die weitgehend blockierte österreichische Politik dynamisieren.

[email protected]

Georg Hoffmann-Ostenhof