Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Es grünt so grün

Es grünt so grün

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Das Versprechen wurde nicht gehalten: Haschtrafiken würden eröffnet, sollte Rot-Grün an die Macht kommen, verhießen einst die Gegner der Grünen. Jetzt ist die Ökopartei in Wien in der Regierung: Von Tabakgeschäften, die auch Cannabisprodukte feilbieten, steht nichts im Koalitionspakt von Michael Häupl und Maria Vassilakou.

Die Freunde der berauschenden Hanfpflanzen mögen enttäuscht sein. Sonst aber blickt eine Mehrheit in Wien mit großer Hoffnung in die ökosoziale Zukunft. So mancher fühlt Aufbruchsstimmung. Gedämpft ist die nur durch die Tatsache, dass sich die Grünen nicht ins Rathaus hineingesiegt haben, vielmehr erst nach einem leichten – von innerparteilichen Streitereien verursachten – Wahlverlust die Chance bekommen haben, die Geschicke der Hauptstadt mitzubestimmen. Kann unter diesen Bedingungen das rotgrüne Experiment überhaupt gut gehen? Riskieren die Grünen nicht, als schwacher Juniorpartner in einer Koalition mit den Wiener Sozialdemokraten ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie seinerzeit in der Regierung Schüssel die FPÖ, die zwei Jahre nach der Koalitionsbildung von den Wählern fürchterlich abgestraft wurde?

Möglich ist alles. Für die Grünen stehen die Zeichen aber eher auf Aufschwung denn auf Absturz. Zunächst weil sie – wenn sie nicht gröbste Fehler machen – im Wiener Rathaus endgültig beweisen können, dass die Idee, sie seien eine unberechenbare Chaospartei, ein böses Vorurteil ist. Das konnten sie zwar schon in Oberösterreich in der Koalition mit der ÖVP zeigen. Wien ist aber für die politische Aufmerksamkeit dann doch ein zentralerer Ort als Linz.

Die Grünen haben allen Grund, zuversichtlich zu sein. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung. In Europa scheinen sie im kräftigen Aufwind zu sein. In den zwei wichtigsten Ländern der EU, aber nicht nur da, sind ihre Erfolge spektakulär.

Dem deutsch-französischen Politiker Daniel Cohn-Bendit ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die zersplitterte grüne Szene Frankreichs unter dem Namen Europe Ecologie zu einen. Die Partei erzielte bei den EU-Wahlen 2008 16 Prozent. Das ist eine Sensation für ein Land, in dem traditionell die Umweltmuffel zu Hause sind und Ökologie lange Zeit als germanische Verirrung galt. Das gute Abschneiden der französischen Grünen bei den Regionalwahlen dieses Jahr (zwölf Prozent) zeigt deutlich: Die Europawahl war nicht bloß ein Ausreißer. „Les Verts“ sind selbst in Frankreich zu einem ernsthaften, offensichtlich stabilen politischen Faktor geworden.

In Deutschland haben die Grünen einen tollen Lauf. In den Umfragen haben sie sich innerhalb eines Jahres auf über 20 Prozent verdoppelt. Fast jede neue demoskopische Erhebung sieht die Partei auf einem neuen Hoch, mal im Bund, mal in einem Bundesland. Nicht mehr ausgeschlossen ist, dass sie kommendes Frühjahr ihren ersten Ministerpräsidenten – in Baden-Württemberg – stellen werden. In Berlin könnte im Herbst kommenden Jahres die grüne Fraktionsführerin im deutschen Bundestag, Renate Künast, das Rathaus erobern. Und wenn man den Meinungsforschern glaubt, so wäre sogar die Perspektive einer grünen Kanzlerschaft nicht mehr bloße Utopie: Die Grünen liegen gleichauf mit der SPD.

Natürlich kann das alles in sich zusammenbrechen. Es sieht aber nicht danach aus. Der Zeitgeist weht kräftig in Richtung Grün. In Deutschland sowieso, wo die Ökopartei mit der Bewegung gegen den Bahnhofsneubau Stuttgart 21 und mit dem Protest gegen die Verlängerung der AKW-Laufzeiten die aktuellen Gewinnerthemen besetzt. Aber auch sonst: Die Sorge um die Erderwärmung und der Klimaschutz sind heute weltweit Mainstream. Wie überhaupt viele grüne Anliegen ins Zentrum der Gesellschaft gerückt sind, die einst im Eck der Latzhosenfreunde, Körndlfresser und Birkenstockträger beheimatet schienen.

Darüber hinaus haben sie sich auch mit realen ökonomischen Interessen verbunden – die Grünen haben die Wirtschaft entdeckt. Die Zeit, als beim Thema Ökologie moralisierende Weltuntergangsstimmung mitschwang, tranige Verzichtsideologie und obskurantische Technikfeindlichkeit, ist längst vorbei. In Entwicklung und Ausbau alternativer Energietechnologien fließen inzwischen gewaltige Summen. Der globale Wettbewerb darum, wer in diesem Bereich die Nase vorne hat, ist voll entbrannt. Die Idee, ein „Green New Deal“ könnte die Weltwirtschaft wieder in Schwung bringen, wird heute von seriösen Ökonomen aufgegriffen und propagiert.

Schließlich aber werden die Regierenden in Europa fast überall zunehmend unpopulär. Den staatlichen Institutionen und den großen Volksparteien schlägt mehr und mehr Misstrauen entgegen, zuweilen sogar Verachtung. Die Führungspersonen der Grünen sind zwar zumeist ebenso politische Routiniers wie ihre Gegenspieler in den anderen Parteien. „Ihnen haftet aber noch immer ein Hauch von sympathischem Dilettantismus und patentem Erfindergeist an“, analysiert der Publizist Richard Herzinger. Für Deutschland stellt er ironisch fest: „Zwischen der einstigen Protestpartei und der braven bürgerlichen Mitte hat sich ein paradoxer Annäherungsprozess vollzogen. Während die Grünen nach und nach verbürgerlichten, entdeckte die gesellschaftliche Mitte die Freuden der Protestkultur.“

Da mag in anderen Ländern, wie etwa in Österreich, die bürgerliche Protestkultur noch nicht so entwickelt sein wie in unserem nördlichen Nachbarland: Die Tendenz ist aber die gleiche. So gesehen ist die Zukunft ziemlich grün. In ganz ­Europa.

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Georg Hoffmann-Ostenhof