Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Glück an der Weichsel

Glück an der Weichsel

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Das wird ein gewaltiges Spektakel, wenn Warschau kommenden Freitag die Übernahme der EU-Präsidentschaft feiert. Zentrum der Show wird der Kulturpalast sein, ein monströser, im sowjetischen Zuckerbäckerstil gebauter 231 Meter hoher Wolkenkratzer, den einst der Sowjetdiktator ­Josef Stalin der „heldenhaften polnischen Nation“ zum Geschenk machte. Rund um diese „Hochzeitstorte“, wie die Polen das inzwischen unter Denkmalschutz gestellte Bauwerk in der Stadtmitte nennen, wird am 1. Juli ein fantastisches Feuerwerk den Warschauer Himmel erleuchten. Die Musik des polnischen Avantgarde-Komponisten Wojciech Kilar, der seine moderne Tonsprache mit Zitaten aus Volks- und Kirchenmusik anreichert, wird eine Klangwolke über die Stadt legen. Und wer inszeniert die Lichtshow? Ein deutsches Unternehmen. Ein freundlicher und kulturell gut durchmischter Patriotismus.

Die Polen sind locker und gelassen. Zu ihren traditionellen Erzfeinden Deutschland und Russland pflegen sie inzwischen ein entspanntes Verhältnis. Andere Feinde sind nicht in Sicht. Und wer seit ein paar Jahren erstmals wieder die Hauptstadt an der Weichsel bereist, der erkennt sie nicht wieder.

Man muss ehrlich sagen: Warschau war trotz vieler schöner historischer Bauten eine der unattraktivsten Städte Europas. Grau, schmutzig und missmutig wirkte die polnische Kapitale. Die Menschen waren erschöpft und ohne Hoffnung. Und man hatte das Gefühl, es werde noch lange dauern, bis sich Polen von der Zeit des Kommunismus erholt haben wird.

Heute strotzt Warschau vor Dynamik. In unmittelbarer Nähe des Kulturpalasts stehen Hochhäuser und nehmen so der Stalin-Gotik ihre totalitäre Ausstrahlung. Wie überhaupt ganz Warschau eine einzige Baustelle ist. Die besten Architekten sind am Werk. Tausende neue Geschäfte haben aufgesperrt. Und die unzähligen Schanigärten sind voll von jungen Leuten, die in allen Gesprächen durch die Bank erkennen lassen, dass sie mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Welch ein Kontrast zur morosen Stimmung im übrigen Europa!

Die Polen haben auch allen Grund zu Optimismus. Das größte der neuen EU-Mitglieder Ostmitteleuropas kam ohne Rezession durch die globale Krise. Die polnische Wirtschaft verzeichnete lediglich eine kleine Abschwächung. Seit 2010 boomt die Ökonomie aber wieder. Für heuer wird ein Plus von knapp fünf Prozent erwartet. Polen hat sich neben Deutschland zur Wachstumslokomotive Europas gemausert.

Aber auch politisch geht es den Polen gut. Vor nicht einmal fünf Jahren konnte man verzweifeln: Die Kaczynski-Brüder hatten 2005 gesiegt und führten – Lech als Präsident und Jaroslaw als Premier – das Land in die Isolation. Prononciert antieuropäisch, katholisch-fundamentalistisch, teils antisemitisch und extrem retro, schien es unter diesem Duo alle bösartigen Polen-Klischees zu bestätigen. Aber der Spuk dauerte nur knapp zwei Jahre. Die Parlamentswahlen 2007 wurden für die Kaczynski-Partei PIS ein Desaster. Jaroslaw musste als Premier gehen. Vor einem Jahr kam Lech, der Präsident, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

Seit vier Jahren regiert nun die konservativ-liberale Bürgerplattform PO von Premier Donald Tusk – und mit ihr die Vernunft schlechthin, zumindest wenn es um Europa geht. Natürlich müsse Griechenland geholfen werden, sagt der Staatssekretär für EU-Fragen Adam Jasser, ein ehemaliger Reuters-Journalist, im Gespräch mit profil: Die Polen wüssten genau, wie wichtig Solidarität ist – immerhin ist ihr Wirtschaftswunder nicht zuletzt auch den Geldern aus Brüssel geschuldet. Während in der EU sonst die nationalen Egoismen fröhliche Urständ feiern, betont Jasser dezidiert, europäische Solidarität müsse auch gegenüber Athen gelten. Und Warschau tritt für den EU-Beitritt der Türkei ein. „Wenn das mit uns funktioniert hat, warum nicht auch mit der Türkei?“ Das sagt ein regierender Politiker des zutiefst christlichen Polen. „Die Umwälzungen in Nordafrika zeigen, dass auch Länder, die sich nicht auf christliche Wurzeln berufen, letztlich die gleichen Werte entwickeln.“ Und Jasser ist stolz darauf, dass auch im aktuellen polnischen Wahlkampf Anti-Migranten-Propaganda keine Rolle spielt. Eine aufgeklärte EU-Präsidentschaft ist also für das kommende Halbjahr zu erwarten. Und was erzählt uns die polnische Erfolgsgeschichte?

Die nur kurze Dauer der obskurantischen Kaczynski-Ära gibt einen Hinweis darauf, dass dramatische und gefährliche Rechtswenden in Osteuropa rasch wieder zu Ende gehen können. Diese Hoffnung besteht auch für Ungarn. Jahrhundertelang war „polnische Wirtschaft“ ein Synonym für eine chaotische und ineffektive Ökonomie. Das hat sich schnell und grundlegend geändert – siehe oben: Auch scheinbar unveränderbare Mentalitäten sind nicht unsterblich.

Und letztlich scheint es doch so etwas wie historische Gerechtigkeit zu geben. Es waren die Polen, die vor drei Jahrzehnten mit dem mutigen Aufstand ihrer unabhängigen Gewerkschaft „Solidarnosc“ den anderen osteuropäischen Völkern den demokratisch-revolutionären Weg in die Freiheit eröffneten. Die Geschichte bedankt sich nun offenbar für die Avantgarde-Rolle, welche die Polen im Kampf gegen die kommunistische Diktatur spielten.

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Georg Hoffmann-Ostenhof