Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Interregnum

Interregnum

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Amerika zieht sich von der Welt zurück. Es ist offensichtlich: Die USA wollen nicht mehr den Weltpolizisten spielen. Wem aber übergibt Amerika den Sheriff-Stern? Bisher hat sich noch niemand gemeldet.

Eine Phase des amerikanischen Isolationismus ist angebrochen. Im vergangenen Jahrzehnt führten die USA in Afghanistan und Irak Kriege, die desaströser nicht ablaufen hätten können. Die US-Soldaten kehren heim. Erneut irgendwo auf der Welt in die Schlacht ziehen will niemand in Amerika. Der jüngst abgeblasene Waffengang gegen das syrische Giftgasregime zeigt das deutlich. Barack Obama hätte die Strafaktion gegen Damaskus weder im Kongress durchgebracht, noch konnte er dafür auf Unterstützung seiner Landsleute zählen.

Die Amerikaner sind nicht nur kriegsmüde, sondern auch weltmüde. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage des PewResearchCenter ergab: 83 Prozent meinen, der Präsident sollte sich gefälligst auf die Innenpolitik konzentrieren, nur sechs Prozent wollen ihn vor allem international agieren sehen. Noch 2007 sahen 40 Prozent die Hauptaufgabe des Weißen Hauses in der Außen- und 39 Prozent in der Innenpolitik.

Man könnte nun diese Entwicklung positiv bewerten: Die amerikanische Allgegenwart habe in der Vergangenheit doch genügend Probleme produziert. Mag sein. Aber bringt der US-Rückzug aus der Weltpolitik nicht mindestens ebenso große, wenn nicht größere Probleme?

Beunruhigung macht sich jedenfalls breit. So diagnostiziert etwa Roger Cohen, Star-Kolumnist der „New York Times“, ein „gefährliches Interregnum“ und zitiert aus den in den 1930er-Jahren verfassten „Gefängnisheften“ des kommunistischen Theoretikers Antonio Gramsci: „Die Krise besteht darin, dass das Alte stirbt und das Neue noch nicht geboren werden kann; in diesem Interregnum erscheint eine Vielzahl von morbiden Symptomen.“

Selbst die nicht gerade für überschwängliche Amerika-freundlichkeit bekannten Franzosen beobachten mit Sorge das zunehmende Desinteresse Washingtons an der Weltpolitik. Bei einem Diplomaten-Seminar in Paris hielt kürzlich Außenminister Laurent Fabius eine Rede: Die Welt sei nicht „multipolar“ – nach der Epoche der Bipolarität im Kalten Krieg, als die zwei Supermächte USA und UdSSR das globale Geschehen bestimmten, und nach der „unipolaren“ Zeit, die mit dem Untergang des Kommunismus einsetzte, sei sie nun „zeropolar“: Es gebe nun auf globaler Ebene keinen organisatorischen Pol mehr, „keine Macht, die Lösungen durchsetzen“ könnte, klagte Fabius.

König Amerika dankt ab. Und weit und breit ist keiner in Sicht, der sich die verwaiste Krone aufsetzen will.

China ist vollauf damit beschäftigt, ökonomisch weiter zu wachsen, und konzentriert sich darauf, dies ohne gröbere Brüche hinzukriegen. Die chinesischen Investoren sind rund um den Planeten unterwegs. Peking ist aber weit davon entfernt, ernsthafte politische Perspektiven auf globaler Ebene zu entwickeln.

Russland, einst als Sowjetunion durchaus ein Land, das universelle („sozialistische“) Ambitionen zeigte, ist unter Putin zu einer um die vergangene Größe trauernden, chauvinistischen Mittelmacht mutiert, deren internationale Politik nur begrenzten nationalen Interessen dient.

Bleibt als potenzieller Kandidat für die Supermachtnachfolge nur Europa. Es gibt tatsächlich außenpolitische Denker, die meinen, der alte Kontinent könnte nun in die Rolle des Weltpolizisten schlüpfen. Die konservative US-Publizistin Anne Applebaum etwa weist darauf hin, dass die EU die zweitstärkste Militärmacht der Welt wäre, legte sie die nationalen Heere und Waffensysteme zusammen oder poolte sie zumindest die Kapazitäten der Mitgliedsstaaten. Und Anne Applebaum ist nicht zuletzt von der entschlossenen und erfolgreichen Intervention der Franzosen in Mali beeindruckt.

Bloß: Die militärische Integration Europas macht kaum Fortschritte. Und wenn europäische Staaten zuweilen bewaffnet in internationale Konflikte eingreifen, dann geschieht das meistens ohne Absprache oder Koordination mit den anderen EU-Staaten, zuweilen sogar gegen den expliziten Willen anderer Europäer – siehe Libyen.

Man kann leider nur der ernüchternden Einschätzung Roger Cohens zustimmen, wonach noch nie die Ambitionen der EU so bescheiden gewesen seien wie heute. Total absorbiert von internen Problemen habe sie jegliche Kohärenz verloren: „Europa wird für die absehbare Zukunft mehr Zeit für die Debatte über die innere Architektur aufwenden als für die Definition von darüber hinausgehenden Zielen.“

So selbstbezogen die USA zu werden drohen, so introvertiert ist Europa schon längst. Der EU fehlt der politische Wille, als „Global Player“ aufzutreten, internationale Strategien zu entwickeln und so die Welt zu gestalten. Es sieht nicht so aus, als ob sich das bald ändern würde.

Gramscis „morbide Symptome“ zeigen sich bereits zuhauf. In dieser Ära der globalen Führungslosigkeit, in dieser Zwischenzeit wäre es nun zumindest die Aufgabe der alten und neuen Mächte, durch verstärkte Diplomatie dafür zu sorgen, dass die Welt nicht vollends ins Chaos abgleitet. Gleichzeitig aber müsste längst Fälliges angegangen werden – die UN so grundlegend reformiert werden, dass sie wirklich handlungsfähig wird.

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