Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Kohorte des Fortschritts

Kohorte des Fortschritts

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Wer Voraussagen macht, riskiert sich zu blamieren. Dass ich mit einer meiner Prognose schwer daneben lag, war mir Ende 2010 bewusst.
Ich hatte zwei Jahre zuvor, am Vorabend der US-Präsidentenwahlen von 2008, voll der Freude über den bevorstehenden Obama-Sieg den Beginn einer demokratischen Epoche des Landes erblickt. Die seit Richard Nixon durch Amerika rollende konservative Welle sei nun zu Ende, schrieb ich. Eine liberale Ära sei eingeläutet. Und die so spektakulär nach rechts gerückten Republikaner seien zumindest für eine Generation weg vom Fenster.

Und dann das: Im November 2010 triumphierte die durch die Tea-Party-Bewegung dynamisierte Republikanische Partei bei den Kongresswahlen. Obamas Demokraten verloren die Mehrheit im Repräsentantenhaus an die rechten Herausforderer und wurden im Senat geschwächt. Des Präsidenten Popularitätswerte schienen im freien Fall zu sein. Also war 2008 der Einzug Barack Obamas ins Weiße Haus bloß ein historisches Versehen, bloß die Antwort auf einen unpopulären Präsidenten namens George W. Bush, ein liberaler Ausrutscher in einem letzten Endes viszeral konservativen Amerika?

Als Obama im Herbst vergangenen Jahres trotz nicht enden wollender Krise und trotz hoher Arbeitslosigkeit wiedergewählt wurde, ahnte ich, dass meine vermeintliche Prognose-Blamage so peinlich doch nicht war. Die ursprüngliche Annahme, dass wir einen Epochenbruch in der politischen Geschichte der USA erleben, hat doch Einiges für sich hat.

Darin werde ich von einem kürzlich erschienen Artikel von Molly Ball in der amerikanischen Monatszeitschrift „The Atlantic“ bestärkt: „Hat Obama eine Generation von Wählern zu lebenslangen Demokraten gemacht?“, lautet der Titel der Analyse, die sich vor allem mit dem Wahlverhalten der Jungen auseinandersetzt. Die Antwort des Blattes lautet: Höchst wahrscheinlich.
Denn entgegen den Erwartungen der Republikaner haben sich die Unter-30-Jährigen nicht enttäuscht vom demokratischen Präsidenten abgewandt. Diese Altersgruppe – oder Alterskohorte, wie man in den Sozialwissenschaften sagt – wählte Obama 2012 in nur unwesentlich geringerem Maße als 2008. Die „Atlantic“-Autorin Molly Ball wundert das nicht. Die meisten Menschen behielten ihr Wahlverhalten bei, das sie bei ihrem Eintritt ins politische Leben herausgebildet haben. Und das noch Jahrzehnte lang.

Molly Ball zitiert Politologen, die belegen, dass jene US-Bürger, die unter dem demokratischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt erwachsen wurden, lebenslang öfter demokratisch wählten, als die übrige Bevölkerung. Die heute sehr Alten erlebten ihre formativen Jahre, als der Republikaner Dwight D. Eisenhower im Weißen Haus saß. Sie votierten nun stark überproportional für den Obama-Herausforderer Mitt Romney. Und die Ära des Ronald Reagan war ausgesprochen prägend: Die Jungwähler der achtziger Jahre geben bis zum heutigen Tag ihre Stimme viel treuer den Republikanern, als die übrigen Alterskohorten.

Die Begeisterung der Jungen, die 2008 den schwarzen Senator von Illinois an die Macht hievte, war kein Strohfeuer. Dass der Umschwung von damals nachhaltig sein würde, lässt sich zudem an Umfragen zu gesellschaftspolitischen Fragen ablesen: Die US-Gesellschaft insgesamt liberalisiert sich zunehmend bereits seit Ende der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts: Die Freunde der Todesstrafe werden weniger, die Kirchgangfrequenz nimmt ab, rassistische Vorurteile und Vorbehalte gegen Schwule und Lesben werden dramatisch abgebaut. Und in den vergangenen fünf Jahren hat sich diese Entwicklung noch beschleunigt.
Wobei die Unter-30-Jährigen forsch voranmarschieren. Sie sind in allen Bereichen noch um Vieles liberaler, progressiver und linker als ihre Eltern und Großeltern. Und nicht nur auf „weichen“ Politfeldern: Die US-Jugend steht heute stärker als alle anderen Altersgruppen für das, was die Republikaner so vehement bekämpfen und das Herzstück der Obama-Politik ist: Für die Stärkung der Sozialstaatlichkeit in Amerika, für ein „active government“.

Selbst wenn die heute so fortschrittlichen Jungen mit dem Alter etwas konservativer werden und die Republikaner aus realpolitischen Gründen in die Mitte rücken sollten – diese Generation und diese Partei liegen so weit auseinander, dass die beiden so schnell kaum zusammen kommen werden.
All das bedenkend, kann gesagt werden: Allein aus politisch-demographischen Gründen haben die USA auf absehbare Zeit eine strukturelle demokratische Mehrheit. Natürlich können unerwartete Ereignisse diese zunichte machen. Aber die Obama-Wahl 2008 scheint tatsächlich kein historischer Betriebsunfall zu sein – wie die Republikaner nicht müde werden zu hoffen –, sondern ein Wendepunkt, der ein liberales Zeitalter der amerikanischen Politik eröffnete.

Und so sei – im vollen Bewusstsein, eine Blamage zu riskieren – bereits jetzt eine Voraussage gewagt: Das Weiße Haus bleibt auch nach Obama in demokratischer Hand. Mit Hillary Clinton wird nach dem ersten Schwarzen, die erste Frau die amerikanische Präsidentschaft übernehmen.

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