Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Pakt ohne Europa

Pakt ohne Europa

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Die deutsche Öffentlichkeit ist mieselsüchtig. Kein gutes Haar wird am Koalitionsvertrag zwischen Sozialdemokraten und Konservativen gelassen. Von allen Seiten hagelt es Kritik am provisorischen – die SPD-Mitglieder müssen noch zustimmen – schwarz-roten Regierungspakt. Für die rechten Medien und die Wirtschaft haben sich Angela Merkel und Co. von den Sozis über den Tisch ziehen lassen. Allgemein wird der hohe Blabla-Faktor im 185 Seiten langen Text gegeißelt. Und von links kommt der Vorwurf, die Sozialdemokraten seien bei den Verhandlungen in wesentlichen Punkten ihren Prinzipien untreu geworden.

Wahrscheinlich haben alle gleichermaßen recht. Was aber eigentlich am kritikwürdigsten wäre, wird kaum thematisiert: Europa findet im Konvolut nur unter ferner liefen Platz. Die Worte „Eurokrise“ und „Bankenkrise“ tauchen da nicht ein Mal auf. „Finanzkrise“ und „Schuldenkrise“ bringen es gerade mal auf je zwei Nennungen. Auch sonst hat man den Eindruck, dass die Großkoalitionäre ganz bewusst den Bürger mit „Brüssel“ und allem, was damit zusammenhängt, nicht behelligen wollten.

Verrückt: Die antretende Koalitionsregierung des wirtschaftlich stärksten Landes der Union, das weitgehend bestimmt, was auf dem Kontinent passiert, stuft Europapolitik programmatisch als zweitrangig ein.

Wer geglaubt hat, die eher europhile SPD werde auf eine generösere Haltung der deutschen Politik gegenüber den notleidenden EU-Ländern des Südens drängen und in den Verhandlungen den inzwischen international breitest kritisierten Sparkurs von Angela Merkel (Modell Schwäbische Hausfrau) aufweichen, wurde enttäuscht. Waren nicht einst die deutschen Sozialdemokraten für Eurobonds eingetreten? Jetzt betont das gemeinsame Papier explizit genau das Gegenteil: keine gemeinsamen Anleihen, keine gemeinsame Schuldenpolitik. Die neue Regierung ist auch nicht bereit, die wirtschaftliche Arbeitsteilung in Euroland zu überdenken, wie es die EU-Kommission fordert, die darauf hinweist, dass der gewaltige deutsche Exportüberschuss flagrant den Wachstums- und Stabilitätspakt verletzt. Hat sich Merkel also voll durchgesetzt? Nicht wirklich.

Man kann wohl nicht von optischer Täuschung sprechen, wenn jetzt allgemein analysiert wird, dass die SPD mehr durchbringen konnte, als ihrem erbärmlichen Wahlergebnis von 25 Prozent entspräche.

Die Unionsparteien mussten einer verpflichtenden Frauenquote von 30 Prozent in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen zustimmen. Auch die vereinbarte Bestimmung, dass im Land geborene Migrantenkinder eine Doppelstaatsbürgerschaft behalten können, muss die deutschen Konservativen ideologisch schmerzen. (Anmerkung: Dass nicht nur im Land geborene Kinder von Ausländern automatisch deutsche Staatsbürger sind, diese aber von jetzt an auf Lebenszeit auch Staatsbürger des Herkunftslandes ihrer Eltern bleiben können sollen, zeigt, wie weit uns Deutschland voraus ist, wenn es um Migrationspolitik geht.)

Vor allem aber die beschlossene Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro, eine sozialdemokratische Zentralforderung, kann die SPD als Sieg feiern. Und die nun anvisierte „Hacklerregelung“ made in Germany, wonach ein Arbeitnehmer nach 45 Beitragsjahren bereits mit 63 abschlagsfrei in Pension gehen kann, stammt aus der Wunschliste von SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Was die Unternehmerverbände und das konservative Kommentariat als „gestrig“, „wirtschaftsfeindlich“ und „wachstumshemmend“ verdammen, entpuppt sich freilich als Antwort auf das, was international von Deutschland verlangt wird. Solche „Zugeständnisse“ an die „kleinen Leute“ – auch etwa die sogenannte Mütterrente, ein Steckenpferd der CDU – stärken die Konsumkraft der Deutschen und damit den Binnenmarkt. Die europäischen Ungleichgewichte werden so kleiner – ein wenig zumindest.

Zwar ist nicht vorgesehen – was vernünftig wäre –, massiv in die marode Infrastruktur zu investieren. Aber so apodiktisch Rot-Schwarz in den allgemeinen Passagen des Vertrags auf striktes Sparen beharrt, im Konkreten sind da doch Lockerungsübungen zu erkennen. Man verspricht, keine weiteren Schulden zu machen und keine neuen Steuern einzuführen – die von der SPD favorisierte Reichensteuer kommt nicht. Aber hysterische Angst vor einem Budgetloch wie bei uns hat man in Deutschland nicht. Irgendwie werde das schon zu stopfen sein. Von Sparpaket redet keiner.

Sagen wir es so: Die deutsche Politik ist trotz allem ein wenig nach links gerückt – und doch ein bisschen europäischer geworden. Sparkurs light ist angesagt. Und die SPD-Basis wird wohl demnächst grünes Licht für die Große Koa-lition geben. Denn die Genossen wissen, dass sie bei diesen Kräfteverhältnissen Besseres nicht bekommen können.

Die Parteimitglieder über die Koalition abstimmen zu lassen, hat sich für die SPD jedenfalls ausgezahlt. Die Drohung mit ihrer Basis war bei den Verhandlungen offenbar erfolgreich. Dass innerparteiliche Demokratie auch taktisch sinnvoll sein kann, versteht freilich die österreichische Bruderpartei nicht: Die SPÖ-Führung hat jedes Begehr nach Mitgliedermitbestimmung bei der Regierungsbildung von vornherein als Zumutung abgeschmettert.

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