Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Präventiver Populismus

Präventiver Populismus

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Griechenland macht Angst. Und es sind nicht nur die Athener Bilder der Straßenschlachten und brennenden Häuser, die uns schaudern machen. Was, wenn Hellas nur in zugespitzter Form vorwegnimmt, was uns übrigen Europäern noch bevorsteht? Was, wenn die griechischen Turbulenzen sich ausbreiten und den ganzen europäischen Kontinent erfassen?

Wir fürchten uns vor einer wirtschaftlich trüben Zukunft. Aber bange fragen wir uns auch, was wohl die ökonomische Misere politisch bringt. Chaos und Gewalt, wie in Athen? Oder aber müssen wir uns darauf gefasst machen, dass die Demagogen von rechts außen weiter Aufwind bekommen, die nationalistischen Populisten ihre Stunde gekommen sehen?

Mit der Prognose, die radikalen Parteien vom rechten Rand würden nun wachsen, wähnt man sich auf sicherem Boden: Wie war doch das damals in den dreißiger Jahren, bei der ersten Weltwirtschaftskrise? Trieben damals Elend und Hoffnungslosigkeit die Menschen nicht in die Arme der Nazis? Natürlich weiß man, dass der Satan nicht zweimal in der gleichen Gestalt erscheint. Und so fürchtet man sich heute vor dem Teufel, den man unter dem Namen „Populismus“ sein Unwesen treiben sieht.

Die Ängste mögen berechtigt sein – die Realität sieht freilich bei näherem Hinsehen nicht ganz so erschreckend aus. Erlebt Europa wirklich einen Aufstieg des Rechtspopulismus? Das ist keineswegs ausgemachte Sache.

Zunächst: Die Haiders und Le Pens erlebten ihre Blütezeit in den neunziger Jahren, in einer Zeit wirtschaftlicher Prosperität. Nun, im zweiten Jahr der Weltwirtschaftskrise, müssten nach obiger Lesart die extremen Parteien, die mit Ressentiments die Unzufriedenheit der Menschen anstacheln, umso dramatischer wachsen. Tun sie aber nicht.

Nehmen wir die britischen Wahlen der vergangenen Woche. Großbritannien hat ein größeres Defizit als Griechenland und steckt in einer schlimmen Rezession. Von einer Radikalisierung des Elektorats ist jedoch nichts zu bemerken. Die rassistische British National Party bleibt extrem marginal, ihr Führer wurde in seinem Wahlkreis vernichtend geschlagen. Gewinner sind die in die Mitte gerückten Tories und die Liberaldemokraten, die trotz Mandatsverlusten seit Langem wieder eine reale Rolle in der britischen Politik spielen dürften.

Es stimmt: Ungarn erlebte mit dem Wahlsieg von Viktor Orban einen radikalen Rechtsruck, und die Faschisten der Jobbik-Partei ziehen erstmals – als drittstärkste Fraktion – ins Budapester Parlament. Die Polen dagegen haben die obskure Herrschaft der nationalkatholischen Kaczynski-Brüder überwunden. Inmitten der Krise regiert an der Weichsel unangefochten der aufgeklärte wirtschaftsliberale Europafreund Donald Tusk.

In Frankreich verzeichnete bei den jünsten Regionalwahlen Le Pens Front National leichte Zugewinne. Die Sozialisten aber triumphierten. Und wenn eine Partei wirklich im Aufwind ist, dann die linksliberalen Grünen von Daniel Cohn-Bendit. In Deutschland drückte sich im Vorjahr der Missmut über die regierende große Koalition in der Verdoppelung der Stimmen für die Freidemokraten aus. Rechte Populisten spielten überhaupt keine Rolle, und die Gewinne der Linkspopulisten um Oskar Lafon­taine und Gregor Gysi hielten sich in engen Grenzen. Auch jetzt profitieren nicht Extreme von der Krise der Regierung von Angela Merkel. Im Aufwind sind die durch und durch moderaten Grünen.

Und nicht zu vergessen: Die FPÖ hat auch schon bessere Zeiten erlebt.
Es mögen da und dort – etwa in Holland oder Italien – Parteien an der xenophoben Peripherie stärker werden: Der generelle Aufschwung des organisierten Rechtspopulismus in Europa findet aber nicht statt. Bis jetzt zumindest.

Kann also Entwarnung gegeben werden? Mitnichten. Es braucht aber einen Perspektivwechsel: Die Gefahr kommt nicht vom Rand, sondern aus der Mitte.

Wir erleben höchst Beunruhigendes, ja Verrücktes: In Belgien wurde mit den Stimmen aller Parteien ein Burka-Verbot beschlossen, obwohl jeder weiß, dass keine 100 Frauen im Land leben, die voll verschleiert auf die Straße gehen. In Frankreich hat Nicolas Sarkozy eine Debatte über „nationale Identität“ vom Zaun gebrochen. Auch er will das Burka-Tragen strafbar machen. Das Verbot von Minaretten wird in mehreren Ländern, auch von etablierten Parteien, erwogen oder durchgesetzt. Islamophobie ist politisch salonfähig geworden.

Überall beschließen rechte und linke Mitte-Parteien – den Menschenrechten Hohn sprechende und ökonomisch schädliche – Fremden- und Asylgesetze. Und die Regierenden treten jetzt dem am Boulevard und an den Stammtischen grassierenden Hellas-Hass nicht nur nicht entschieden und selbstbewusst entgegen, gelegentlich beteiligen sie sich sogar am Griechen-Bashing, nicht zuletzt aus Angst vor den rechtspopulistischen Parteien. Man muss sich weniger vor dem Erstarken der Radauparteien fürchten als vor dem, was man den präventiven Populismus der Mitte nennen könnte. Dieser mag kurzfristig als Wahltaktik durchaus funktionieren. Auf längere Sicht aber hat er fatale Folgen. Dieser Zentrumspopulismus entwickelt nämlich eine kaum zu stoppende Eigendynamik. Und davor muss man in diesen turbulenten Zeiten wirklich Angst haben.

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Georg Hoffmann-Ostenhof