Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Sie wissen, was sie tun

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Was hat die neue österreichische Studentenbewegung mit Barack Obama zu tun? Auf den ersten Blick: nichts. Und dennoch. Jahrelang lamentierte man, dass die US-Bürger immer weniger bereit sind, zu wählen. In besonderem Maß sei die Jugend von Politikverdrossenheit erfasst. Man verwies auf Umfragen und auf die Wahlen. Wie erstaunt war man dann, als bei der vergangenen Präsidentenkür eine – für amerikanische Verhältnisse – Rekordzahl von Amerikanern, vor allem aber von den Jungen unter ihnen, ihre Stimme abgab. Deren politisches Engagement war sogar stärker und breiter als das der Jugend in den wilden sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Für Obama legten sich Millionen und Abermillionen junge Citoyens ins Zeug – eine Grassroots-Bewegung entstand, die mit Internet, Facebook, Twitter und anderen Elementen der neuen Kommunikationstechnik eine Kraft entfaltete, von der man zuvor nur träumen konnte. Eine Bewegung, die mit ihrer Leidenschaft, Selbstorganisation und Autonomie beeindruckte. Gewiss, es war das Charisma eines Ausnahmepolitikers, das mobilisierend wirkte. Die Begeisterung für den ersten Schwarzen, der sich darum bewarb, ins Weiße Haus einzuziehen, brachte die Leute in Bewegung. Aber nicht nur. Die Situation war auch sonst reif.

Die acht Jahre Bush hatten verdeckt, dass sich in der Zwischenzeit die amerikanische Gesellschaft weiterentwickelt hatte, lockerer geworden und nicht so verstockt und reaktionär war, wie die politische Führung des Landes glauben ließ. Um es einmal grob zu sagen: Die Diskrepanz zwischen der Verkommenheit der Bush-Regierung und der viel fortgeschritteneren Gesellschaft wurde zu groß. Diese empfand offenbar: Das Maß ist voll, tiefer kann das Land nicht sinken. Und in diesem Moment war dann die Politikverdrossenheit verflogen.

Ein österreichischer Obama ist beim besten Willen nirgendwo in Sicht. Und alle Umfragen zeigten bisher, dass die österreichische Jugend im Allgemeinen eher dumpf vor sich hin brütet. Was soll also der Vergleich mit den USA? Solch einer scheint tatsächlich vermessen zu sein. Dennoch kann man nicht umhin, Ähnlichkeiten zu entdecken: Was sich im Audimax abspielt und in den anderen besetzten Hörsälen, die Geschwindigkeit, mit der sich der Protest über das ganze Land verbreitet hat, die Leichtigkeit, mit der sich die Studenten da vernetzen, sich ohne zentrale Gremien und Führung organisieren und elegant die volle Bandbreite des Internets einsetzen – all das läuft nach derselben faszinierenden Logik ab, mit der sich jenseits des Atlantiks die Jungen mobilisierten, um der Bush-Ära ein Ende zu bereiten. Auch hier beginnt zumindest ein Teil der Jungen, und nicht der unwesentlichste, die Apathie abzuschütteln.

Noch eins: Da mögen die Probleme der Supermacht USA völlig andere sein als jene eines kleinen, nicht sehr bedeutenden mitteleuropäischen Staates. Aber ein Grundgefühl dürfte hier ebenso vorherrschen wie im Amerika am Ende der Bush-Ära: So kann’s nicht weitergehen. Ein bisschen mag bei den österreichischen Hochschülern auch schon eine „Yes we can“-Ahnung mitschwingen. Hierzulande hat sich, wie in den Vereinigten Staaten in der Bush-Ära, eine Kluft weit aufgetan – zwischen einem herrschenden politischen Personal, das erbärmlicher noch nie war, einem öffentlichen Diskurs, der atemberaubend niedriges Niveau besitzt, auf der einen und einer Gesellschaft auf der anderen Seite, die sich in den vergangenen Jahren erfreulich entwickelt hat: Sie ist lebendiger, informierter, offener und liberaler geworden. Die uns regierende politische Klasse und ihre Reden aber werden im Land zunehmend als bloße Belästigung empfunden.

Die sich jetzt entfaltende Studentenbewegung stößt nun in diese Kluft. Es ist ein kleiner Aufstand der Zivilgesellschaft. Und der Protest trifft ja nicht bloß einen Peripherbereich der Gesellschaft, sondern einen der zentralen Nervenpunkte der österreichischen Misere: das Bildungssystem. Die österreichischen Universitäten stürzen bekanntlich im internationalen Vergleich ab, produzieren viel zu wenige Akademiker, sind lange Zeit pekuniär ausgehungert worden und bleiben – wenn es nach der Regierung geht – drastisch unterfinanziert. Für eines der reichsten Länder der Welt eine wahre Schande.

Nun mag man mit den einzelnen Forderungen der Studenten nicht einverstanden sein. Die Hauptstoßrichtung kann aber vernünftiger nicht sein: Einen Investitionsschub für die Hochschulen verlangen die aktionistischen Studiosi. Natürlich wird dem das übliche Argument der leeren Kassen entgegengehalten, das letztlich aber nicht sticht. Bei der Bildung zu sparen ist ein Verbrechen an der Zukunft, da muss einfach Geld her. Das wissen nicht nur die Demonstranten, das ist inzwischen der Konsens aller Experten.

Es ist ungewiss, was aus dieser Bewegung wird. Sie kann sich totlaufen, ohne etwas erreicht zu haben, wie vergleichbare Proteste in der Vergangenheit, sie kann sich radikalisieren und dann an der öffentlichen Meinung zerschellen. Sie kann aber auch noch einige Zeit durchhalten, Bündnispartner finden und sich möglicherweise auf andere Bereiche verbreitern. Wünschenswert wäre, wenn sich die Schüler den Studenten anschlössen. Das könnte die so dringende Modernisierung der Schulen beschleunigen. Und sollte die Migrantenjugend von der Bewegung erfasst werden, dann wäre der zweite zentrale Bereich der österreichischen Politik erreicht, in der es tiefer nicht mehr geht: die so genannte Ausländerpolitik. In diesem Sinn kann man sich nur freuen, dass die Studenten in Bewegung geraten sind, und hoffen, dass ihnen nicht allzu schnell die Luft ausgeht.

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Georg Hoffmann-Ostenhof