Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Verspekuliert

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Als der russische Präsident vergangene Woche daran ging, sich die Krim zu krallen, war er offenbar der Überzeugung, der Westen würde sich verhalten wie beim Georgien-Krieg vor sechs Jahren. Nur sehr vorsichtig geäußerte Missbilligung war damals die Reaktion auf die gewaltsame russische Annexion der beiden georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien. Bald galt in den Beziehungen der USA und EU zu Moskau wieder business as usual. Diesmal ist es anders. Seit Ende der vergangenen Woche wissen wir: Wladimir Putin hat sich verrechnet.

Nicht nur verhängte Washington Sanktionen gegen Russland, auch die europäischen Staats- und Regierungschefs einigten sich darauf, Putin diesmal nicht ungestraft davonkommen zu lassen. Ein wenig milder als Washington gibt sich Brüssel. Aber der EU-Stufenplan, wonach die Sanktionen sukzessive verschärft werden, sollte der Kreml-Chef nicht zurückstecken, zeigt, dass es Europa diesmal ernst ist.
Zur Fehlkalkulation führte Putin seine Verachtung für den Westen. Offenbar denkt der ehemalige KGB-Offizier in den alten Schemata. Danach wird die westliche Außenpolitik ausschließlich vom Großkapital diktiert. Ben Judah, der Autor des Russlandbuches „The Fragile Empire“ schreibt: „Putin ist sich sicher, dass die europäischen Eliten stärker an Profiten interessiert sind als an der Konfrontation.“

Gänzlich daneben liegt der russische Präsident mit dieser Ansicht freilich nicht: So sind Staaten wie Deutschland, die mit Moskau große Geschäfte machen, skeptischer, wenn es um Strafmaßnahmen geht, als etwa die USA, deren ökonomische Beziehungen zu Russland überschaubar sind. Und auch die Briten sind nicht begeistert von dem Vorschlag, demnächst die Konten von bösen Russen einzufrieren – sind es doch gerade diese, die Milliarden in die Londoner City bringen. Nun zeigt sich aber, dass es im Westen doch nicht so vulgärmarxistisch zugeht: Die EU-Regierungen, die für eine eher weiche Politik gegenüber Putin eintreten, und die Hardliner – allen voran die ehemaligen Ostblockstaaten, die leidhafte historische Erfahrungen mit den Russen haben – fanden zu einem gemeinsamen Kurs. Und dieser ist mit den Amerikanern abgestimmt.

Da hat man erkannt, dass es sich nicht bloß um eine kleine ukrainische Halbinsel handelt und auch nicht allein um die Frage, ob in Kiew Russophile oder Pro-Westler regieren, sondern um viel mehr. Die Ukraine-Krise hat dem Westen die Augen darüber geöffnet, worum es Putin wirklich geht: Er versucht den Zusammenbruch der Sowjetunion, den er einmal als „größte geopolitische Tragödie Russlands im 20. Jahrhundert“ bezeichnete, rückgängig zu machen – unter völliger Missachtung jeglicher völkerrechtlicher Standards.

Und die „Legitimität“ für diese Eroberungspolitik hat er in einer Art Putin-Doktrin zusammengefasst: Dort, wo Russen vermeintlich unterdrückt und diskriminiert werden, habe Moskau das Recht einzugreifen. Und das ist nicht erst seit diesen Tagen geübte russische Praxis. So wurde auch anlässlich des Georgien-Kriegs argumentiert, so spaltete sich Transnistrien von Moldawien ab, und so mobilisiert und fördert Moskau irredentistische Bestrebungen überall dort, wo sich ehemalige Sowjetrepubliken von Russland wirklich unabhängig zu machen anschicken – in Zentralasien, im Kaukasus, und jetzt auch in Europa: Wenn es „notwendig“ sei, wäre Russland berechtigt, nicht nur auf der Krim, sondern auch in der ganzen Ukraine militärisch zu intervenieren, sagte er vergangene Woche.

Und was, wenn der moskowiter Schutzpatron aller Russen plötzlich findet, dass seine Landsleute in den baltischen EU-Staaten, wo nicht wenige Russen leben, schlecht behandelt werden? Putins Logik ist brandgefährlich. Sie birgt echte Kriegsgefahr in sich. Darum ist es so erfreulich, dass der Westen den großrussischen Anwandlungen des Kremls so klar entgegentritt.
Die „Putinversteher“ unter linken Pazifisten, rechten Nationalisten und in besorgten Wirtschaftskreisen haben sich jedenfalls nicht durchgesetzt. Jenen aber, die meinen, man gehe noch zu sanft mit Russland um, sei zu erwidern: Ohne Säbelrasseln und ohne militärische Drohungen gezielte Sanktionen zu verhängen, aber gleichzeitig die Tür für Verhandlungen offen zu halten – das ist eine dem globalisierten 21. Jahrhundert angemessene Außenpolitik, die so vorteilhaft im Kontrast zu Putins grobem großrussischen Imperialismus steht. Der ist nämlich nicht bloß ein Rückfall in den Kalten Krieg des 20., sondern auch ein Rückgriff auf Mittel des 19. Jahrhunderts.

Aber sind die nun in Aussicht gestellten begrenzten Strafmaßnahmen nicht bloß symbolisch? Bleiben sie real nicht wirkungslos? Gewiss, die große Keule sind sie nicht. Aber ungemein schmerzhaft wären etwa das Konten-Einfrieren und die Reisebeschränkung für die Putin-Eliten – die ihr Geld außer Land geschafft haben und ihre Kinder in den guten westlichen Unis studieren lassen – noch allemal. Und man vergesse nicht: Putins Russland ist wirtschaftlich marod und politisch letztlich eben ein „fragiles Reich“. Auch die kleinste ökonomische Sanktion kann da große Wirkung zeigen.
Es ist nicht auszuschließen, dass der Autokrat im Kreml sein ukrainisches Abenteuer noch einmal bitter bereuen wird.

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