Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Viva l’Italia!

Viva l’Italia!

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Da haben sich schon viele blamiert. Legion waren in den vergangenen Jahren die Artikel und Kommentare, die den politischen Tod Silvio Berlusconis voraussagten. Und sie irrten immer. Auf die Gefahr hin, sich noch einmal mit einer Prognose lächerlich zu machen, sei hier gesagt: Dieses Mal ist es tatsächlich so weit. Seine Zeit ist um. Und es sieht ganz so aus, als ob die Frauen Italiens die Totengräber des Berlusconismus sein werden.

Italien feierte vergangenen Donnerstag in Anwesenheit von Dutzenden Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt pompös den 150. Jahrestag der Einigung des Landes. Die Jubiläumsstimmung war freilich getrübt: Das Land könnte heute wirtschaftlich maroder und politisch desorientierter nicht sein. Wirklich zu feiern hätten die Menschen zwischen Sizilien und Südtirol aber das bevorstehende Ende einer ganzen Geschichtsepoche, jener medienpopulistischen Herrschaft des Cavaliere.

Gewiss, Berlusconi hat bereits öfter Wahlschlappen weggesteckt und Comebacks geschafft. Sein Debakel beim jüngsten kommunalen Urnengang aber unterscheidet sich wesentlich von bisherigen Niederlagen. „Was Mailand heute denkt, denkt morgen ganz Italien“, schrieb einmal der Historiker Gaetano Salvemini. Die lombardische Wirtschaftsmetropole, von der aus Berlusconi einst seinen Siegeszug startete, befand sich 18 Jahre lang fest in der Hand der Rechten. Jetzt zieht ein ganz Linker ins Mailänder Rathaus ein. Aber wie in Mailand heute, denkt man im ganzen Land nicht erst morgen, sondern bereits jetzt: Von Neapel im Süden bis Triest im Norden – in nahezu allen Städten, in denen gewählt wurde, hatten die Berlusconi-Kandidaten keine Chance.

Es waren vor allem die Italienerinnen, die dem Langzeit-Premier die Gefolgschaft aufkündigten. Als er 1994 erstmals siegte, kam die Mehrheit der Stimmen von den Frauen. Der Milliardär erschien ihnen als fesch, viril, charmant und dynamisch. Noch vor einem Jahr fand ihn die Hälfte von ihnen in Ordnung. Heute sind es nur mehr 27 Prozent. Seine berüchtigten Bunga-Bunga-Feste ließen seine Popularität bei den „donne“ abstürzen.
„Haben Sie von den letzten Umfrageergebnissen gehört?“, fragte noch kürzlich der Premierminister vor versammelter Menge auf der Insel Lampedusa: „Man hat Frauen zwischen 20 und 30 gefragt, ob sie mit Berlusconi Liebe machen wollten? 33 Prozent sagten Ja. 67 Prozent sagten: Wieder?“ Hätte dieser Scherz vor nicht allzu langer Zeit noch Lacher gebracht, wird solches heute nur mehr als peinlich empfunden. Die Frauen haben nun von ihm, dieser Mischung aus Hugh Hefner und Richard Lugner, endgültig die Nase voll.

Sie haben ihrer Abscheu vor Berlusconi bereits am 13. Februar dieses Jahres spektakulär und massenhaft Ausdruck verliehen: „Wann, wenn nicht jetzt!“, war der Hauptslogan von landesweiten Demonstrationen, an denen eine Million Italiener, in der großen Mehrheit Frauen, teilnahmen. Anlass für die Proteste waren die vielen Sexskandale des Premiers. Aber es ging nicht bloß um die erbärmliche Art, wie dieser Lustgreis sich und der Welt seine Männlichkeit beweisen will, um seine vulgäre Beziehung zum weiblichen Geschlecht, sondern viel allgemeiner um das Frauenbild in seinem Italien.

Im öffentlichen Raum dominieren die „veline“, die nur spärlich bekleideten Girls, die mit aufgespritzten Lippen und prallen künstlichen Brüsten die Fernsehsendungen nicht nur im privaten Berlusconi-TV bevölkern. „Italien ist bedeckt von einer dicken Schneeschicht von Bildern, die alles begraben hat“, klagt eine der Organisatorinnen der Februar-Proteste. „Wir marschieren gegen die permanente Entwürdigung der Frau.“

Die ist aber letztlich ein Ausdruck der Rückständigkeit des Landes: Wenn es um Frauenrechte geht, rangiert Italien nach dem „Global Gender Gap Report“ des World Economic Forum 2010 an 74. Stelle – zwischen der Dominikanischen Republik und Gambia. In keinem Land Europas – mit Ausnahme Maltas – ist der Anteil der Frauen an der arbeitenden Bevölkerung geringer als in Italien. Den Italienerinnen, die arbeiten, wird nur halb so viel gezahlt wie den Männern. Und das sind nur die gröbsten Indikatoren. Gleichzeitig ist die legendäre italienische Mamma mit den vielen Bambini verschwunden. Die Italienerin bekommt im Durchschnitt nur 1,2 Kinder. So wenige Babys werden sonst nirgendwo in Europa geboren.

Frischen Wind brachte Berlusconi einst mit seinen privaten TV-Sendern in die Fernsehlandschaft, die bis dahin von christdemokratischer Prüderie und linkem Moralismus des Staatsfunks geprägt war. Das gefiel den Leuten. Die von Berlusconi verhießene Modernisierung entpuppte sich aber als Trash-Moderne der schlechten Männerwitze.

Die unterentwickelte Emanzipation der Frau ist einer der Hauptgründe, warum sich in einem so wunderbaren und kultivierten Land wie Italien dieser korrupte, geschmacklose und ordinäre Parvenü so lange an der Macht halten konnte. Der aktuelle Aufstand der Frauen, der ihre nachholende Emanzipation bedeutet, wird Silvio Berlusconi schließlich zu Fall bringen. Und, so ist zu hoffen, den Weg für eine echte Modernisierung Italiens eröffnen. – Dann könnte der Einigungsgesang, der 1861 in allen Städten des Landes zu hören war, wieder erklingen: Viva l’Italia!

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Georg Hoffmann-Ostenhof