Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Von Dolmen und Grünen

Von Dolmen und Grünen

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Dem „Falter“ kann man nur zu seiner Treffsicherheit gratulieren: Er kürte den Grünen Peter Pilz wegen seiner Aussagen zur Wiener Türkendemo zum „Dolm der Woche“.

Natürlich hätte es in dieser Causa auch andere Titelanwärter gegeben. Verzeihen kann man dem grünen Bundesrat Efgani Dönmez seinen (inzwischen zurückgenommenen) Sager vom „One-Way-Ticket“, mit dem er die Anhänger des türkischen Premier Recep Erdogan in Österreich „nach Hause“ schicken will, nicht. Aber ein wenig Verständnis kann man schon aufbringen. Dönmez ist Alewit und gehört damit jener liberalen Fraktion im Islam an, die in der Türkei von der muslimischen Mehrheitsströmung, deren höchster politischer Repräsentant Erdogan ist, diskriminiert wird. Irgendeinen FPÖ-Politiker herauszugreifen, weil er unter dem Motto „Türken raus“ Dönmez politisches Asyl anbietet, wäre ebenso wenig originell wie Peter Gnam von der „Krone“ vorzuführen, weil er den Pro-Erdogan-Freunden zuruft: „Haut doch ab nach Istanbul und demonstriert dort.“ Für Gnam und die FPÖ ist ja das Dolmentum schon zur permanenten Existenzweise geworden.

Nein, der aktuelle Dolm ist diesmal wirklich der Aufdecker Pilz. Denn er weiß, was er tut. Er und seine Parteifreunde geißeln gemeinhin die überaus restriktiven Einbürgerungsbestimmungen in Österreich. Und nun will er Demonstranten aufgrund ihrer Liebe zum türkischen Premier die Staatsbürgerschaft verweigern. Das kann nur als populistischer Zynismus ausgelegt werden.

Zweifellos ist das brutale Vorgehen der türkischen Polizei gegen die Occupy-Gezi-Bewegung skandalös. Ebenso verurteilungswürdig ist die Art, wie Erdogan diese demokratische Opposition als „ausländische Agenten“ und „Gesindel“ diffamiert. Das ist die Sprache autoritärer Herrscher. Gegen den zunehmend undemokratischen Stil des Premiers sind die hunderttausenden Türken auf die Straße gegangen. Sie protestieren gegen die sich verstärkende Tendenz Erdogans, die Meinungsfreiheit einzuschränken, Kritiker einzusperren – und gegen dessen Versuch, paternalistisch-bigott den Menschen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben.

Auf den ersten Blick erscheinen die tausenden österreichischen Türken, die mit Erdogan-Bildern durch die Wiener Favoritenstraße marschierten, tatsächlich als lupenreine Antidemokraten. Aber es stimmt halt nicht.

Erdogan, der Chef der islamisch geprägten konservativen AKP-Partei, wurde drei Mal hintereinander in demokratischen Wahlen von einer satten Mehrheit gewählt. Die Türken wissen, warum: Unter ihm wandelte sich die Türkei von einem krisengeschüttelten Armenhaus zu einem boomenden Schwellenland. Er hat erst das Land vor die Tore der Europäischen Union geführt und, bevor seine Herrschaft zu degenerieren begann, demokratische Reformen – wie seit Atatürks Zeiten nicht mehr – durchgezogen. Vor allem gelang es ihm, die bis dahin alles beherrschenden und zuweilen putschenden Generäle in die Kasernen zurückzuschicken. Erstmals macht sich auch eine türkische Regierung ernsthaft daran, den grausamen Kurden-Konflikt zu lösen.

Erdogan gab den Türken wieder Stolz und Selbstbewusstsein. Im Besonderen aber jenen aus der traditionell zurückgebliebenen Region Anatolien. Da hat die AKP ihre Basis. Für die Leute von dort bedeutet das vergangene Jahrzehnt eine Phase der Emanzipation und des Aufstiegs. Aus ihnen rekrutieren sich heute die neuen tüchtigen Mittelschichten, die gegen die bis dahin tonangebenden und arroganten urbanen Eliten punkten.

Wenn in Österreich die Demos der türkischen Erdogan-Anhänger weitaus stärker ausfallen als jene der Erdogan-Gegner – und wenn in Deutschland dies genau umgekehrt ist –, dann hat das historische Gründe. In den 1960er- und 1970er-Jahren war die deutsche Industrie entwickelter als jene bei uns. Dort holte man aus der Türkei Facharbeiter, hierher kamen Hilfsarbeiter aus den ärmsten Schichten Anatoliens. So ist Erdogan für die meisten bei uns lebenden Türken und deren – inzwischen vielfach gesellschaftlich angekommenen – Kinder und Enkel ein Held. Und sie verteidigen ihn, wenn er angegriffen wird. In Deutschland, wo die türkische Community einen anderen sozial-regionalen Background hat, ist man da politisch schon etwas weiter.

Ich muss aber gestehen: So sehr ich mit den Anti-Erdogan-Demonstranten sympathisiere, so sehr beeindruckten mich auch jene Austrotürken, die dem Erdogan-Bashing der bekanntlich nicht gerade turkophilen österreichischen Medien und Politiker energisch ihren Marsch auf der Favoritenstraße entgegensetzten.

Natürlich haben die Erdogan-Fans mehrheitlich nicht aus antidemokratischen Motiven demonstriert. Nur zur Information: Von den etwa 300.000 türkisch-stämmigen Menschen in Österreich besitzen 200.000 die österreichische Staatsbürgerschaft. Und von diesen wählen – mögen sie auch konservative AKP-Anhänger sein – über 50 Prozent die SPÖ und überdurchschnittlich stark die Grünen.

So gesehen hat die populistische Anwandlung des Dolms der Woche, Peter Pilz, nicht nur die Dimension des Zynismus, sondern auch jene der Dummheit.

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