Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Weiter Schulden machen, bitte!

Weiter Schulden machen, bitte!

Drucken

Schriftgröße

Wer wird das alles einmal bezahlen? Noch war nicht klar, ob die Gelder, die der Staat in die Wirtschaft pumpte, tatsächlich die Ökonomie vor dem Kollaps retten würden, da wurde schon allerorten, und auch bei uns in Österreich, die bange Frage nach der Zeit danach gestellt. Wie kann man den Schuldenberg abtragen, wo müssen überall die Staatsausgaben gekürzt werden, um das in der Krise entstandene Riesendefizit zu reduzieren?

Man hat den Eindruck, viele erschrecken mehr vor einer fantasierten Katastrophe in der Zukunft als vor der Katastrophe, die man gerade erlebt. Auch jetzt: Da mag die Talsohle bereits im Blick sein. Aber noch schrumpft die österreichische Wirtschaft, noch erwartet man ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit. Und schon räsoniert Finanzminister Josef Pröll über einen zukünftigen Sparkurs und fordert IHS-Chef Bernhard Felderer „eine möglichst rasche Rückzahlung“.

Warum soll das notwendig sein? Und was ist eigentlich so schlecht an Staatsschulden? Nichts, antwortet Robert Reich, Ökonom und einstiger Arbeitsminister unter dem demokratischen US-Präsidenten Bill Clinton, in einem Artikel mit dem Titel: „Was soll die Defizit-Hysterie? Ich wünschte, wir würden uns mehr verschulden.“ Das scheint zunächst frivol angesichts der Prognose, die USA würden in den kommenden zehn Jahren ein Defizit von unvorstellbaren neun Billionen (9000 Milliarden) Dollar akkumulieren. In den kommenden Jahren hieße das Staatsschulden im Ausmaß von 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und das – so Reich – klinge bei Weitem nicht so furchtbar. Entwickelte Nationen könnten ein derartig hohes Defizit durchaus managen, argumentiert er.

Es sei zudem weniger das staatliche Sparen, welches das Loch im Budget wieder auffüllt, als vielmehr eine wachsende Wirtschaft: So sei es der Nachkriegsboom in den USA gewesen, der die riesige Staatsverschuldung von 119 Prozent des BIP im Jahr 1945 in nur wenigen Jahren dramatisch reduzierte. Und George Bush senior hat seinem Nachfolger Clinton einen enormen Schuldenberg hinterlassen. Von 1993 bis 2000 brummte aber die US-Wirtschaft, und am Ende der zweiten Clinton-Amtszeit hatte Washington einen ansehnlichen Haushaltsüberschuss. Die Expansion der Ökonomie füllte die Staatskassen, nicht die von den Republikanern erzwungenen Haushaltskürzungen. Die wurden erst später wirksam, argumentiert Reich.

Gewiss: In Österreich bewegen sich die öffentlichen Haushalte über die Jahre hinweg anders als in den USA. Die Staatsschuldenquote ist bei uns in jeder Rezession gestiegen, und sie konnte in der jeweils darauf folgenden Konjunktur bestenfalls marginal gesenkt werden. Darauf wies der österreichische Ökonom Gunther Tichy jüngst in einem Artikel im „Standard“ hin: Das Defizit stieg von zehn Prozent Anfang der siebziger Jahre auf 50 Prozent Ende der achtziger und 60 Prozent seit den neunziger Jahren. „Bei 20 ebenso wie bei 60 Prozent – immer klagte man über die untragbare Zinsenbelastung und forderte eine drastische Einschränkung der Staatsausgaben – und gewöhnte sich dennoch bald an die höheren Quoten.“ Das wird auch bei künftigen 80 Prozent so sein. Eins steht fest: Die großen Staatsdefizite haben die Welt gerettet. Und jetzt, noch inmitten der Rezession, daran zu denken, bereits wieder die öffentlichen Gelder zu verknappen, könnte verheerende Folgen zeitigen. Der leicht begonnene Aufschwung der Weltwirtschaft würde frühzeitig abgewürgt.

Das meinen nicht nur notorische Freunde des keynesianischen Deficit-Spending wie Robert Reich. Die OECD, die gerade eine vorsichtig optimistische Prognose veröffentlicht hat, plädiert ebenfalls dafür, dass die Staaten weiter mit Konjunkturpaketen die Ökonomie stimulieren. Und vor allem die Regierungen in Washington und London – just jene, die traditionell wirtschaftsliberal eingestellt sind – warnen davor, jetzt bereits mit einer „Exitstrategie“ zu beginnen, den Staat also wieder als Animateur der Konjunktur zurückzunehmen, wie es etwa die Regierung in Berlin will.

Nein, die Staaten müssen sich weiter verschulden. Um in zukünftiges Wachstum zu investieren. Es muss freilich richtig investiert werden. „Es ist wie beim Familienbudget: Es wäre vertrottelt, sich Geld zu borgen, um eine Weltreise zu machen. Aber selbst für verschuldete Familien macht es Sinn, Geld aufzunehmen, um die Kinder aufs College zu schicken“, schreibt Reich. So sei die von Präsident Barack Obama angepeilte Gesundheitsreform, die von den rechten Defizit-Hysterikern wütend bekämpft wird, ebenso angesagt wie generöse Förderung von alternativen Energien und die Reparatur der in den USA vielfach kaputten öffentlichen Infrastruktur. All das bahnt den Weg aus der Krise und schafft zukünftigen Reichtum, auch für die kommenden Generationen.

Auf Österreich umgelegt, hieße das: Dort – auf Pump – investieren, wo es ohnehin im Argen liegt: allem voran in eine Modernisierung des Schulwesens, das im Vergleich zu anderen Industriestaaten weit hinterherhinkt, zum Teil noch im 19. Jahrhundert steckt. Auch eine vielfach beschworene und bisher niemals durchgesetzte Verwaltungsreform brächte einiges. Da gilt es halt diesmal wirklich den bisher alles blockierenden Föderalismus kräftig zurückzudrängen. All das würde das künftige Wachstum auf eine stabile Basis stellen.

Noch eins: Dass es Clinton gelang, innerhalb von wenigen Jahren auf ein Budgetplus zu kommen, war unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass er „tax the rich“, seinen Wahlkampfslogan von 1992, wahr machte. Die Superreichen wurden zur Kassa gebeten. Sollten in Österreich die Steuern auf große Vermögen nur auf den Stand der übrigen EU-Staaten angehoben werden – man könnte um einiges entspannter auf die Staatsdefizite blicken. Da bräuchte dann nicht der apokalyptische Krieg der Generationen ausgerufen zu werden, wenn die Alten die Erhöhung ihrer Pensionen um zwei Prozent fordern.

[email protected]

Georg Hoffmann-Ostenhof