Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Wer zu spät kommt

Wer zu spät kommt

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Barack Obama hat mit seinem schwachen Auftritt bei der ersten Kandidatendebatte Mittwoch vergangener Woche vor allem dem Journalismus einen großen Gefallen getan. Nichts brauchen die Medien mehr als Spannung. In den vergangenen Wochen hat es ganz so ausgesehen, als ob das Rennen gelaufen wäre. Wie langweilig. Obamas Wiederwahl im November stand faktisch fest. Nicht nur war Obama über Monate hindurch in den Umfragen kontinuierlich und stabil vor seinem republikanischen Herausforderer Mitt Romney gelegen. In den vergangenen Wochen konnte er diesen Abstand noch spektakulär vergrößern.

Plötzlich ist wieder alles offen. In der Fernsehkonfrontation siegte ein dynamischer, rhetorisch versierter, ja streckenweise sogar authentisch und sympathisch wirkender Romney. Ein müder und stockender Obama, der den Eindruck erweckte, ihm sei die Veranstaltung eigentlich zuwider, konnte dem Republikaner kaum Paroli bieten.

Was war mit dem sonst so brillanten Obama los? Und was mit Romney, der bisher vor allem durch seine Ausrutscher auffiel und jetzt den Parcours so ganz ohne jeglichen Patzer fulminant absolvierte?

Zunächst ist ein amtierender Präsident von vornherein im Nachteil: Er muss miese Wirklichkeiten und peinliche Kompromisse verteidigen. Der Herausforderer kann unbelastet von der Realität das Blaue vom Himmel versprechen. Sicher war auch die von Obamas Spin-Doktoren verordnete Taktik schuld: Als Präsident dürfe er nicht zu offensiv auftreten. Das war sicher die ausgegebene Devise. Er sei zudem ohnehin der Favorit. Da ist es Obama offenbar so ergangen wie einer siegessicheren Fußballmannschaft, die gegen Ende der zweiten Halbzeit in Führung liegt, mauert, mögliche Torchancen nicht wahrnimmt, unaufmerksam wird und dann das entscheidende Goal bekommt.

Schließlich war Obama total überrascht von Romneys Metamorphose. „Da traf ich einen inspirierten Burschen, der behauptete, Mitt Romney zu sein“, sagte er launig-angriffig nach der Konfrontation. „Aber das konnte nicht Mitt Romney sein, denn der reale Mitt Romney ist das ganze vergangene Jahr herumgefahren und hat immer wieder eine 5-Billionen-Steuersenkung versprochen, welche vor allem den Reichen zugutekommt. Der Typ auf der Bühne vergangenen Abend aber sagte, er wisse nichts davon.“ Tatsächlich war ein neuer Romney aufgetaucht: ein Mann der Mitte.

Erinnern wir uns. Als Gouverneur von Massachusetts hat er einst als moderater Republikaner regiert. Um der Kandidat der Partei zu werden, deren Basis im Verlauf der vergangenen Jahre weit nach rechts gerückt war, musste er sich anpassen. Verglichen mit dem Romney, den man bisher kannte, war George W. Bush geradezu ein Liberaler: In gesellschaftspolitischen Fragen wie Abtreibung, Schwulenehe, aber auch Migration redete der republikanische Präsidentschaftskandidat der radikalen Tea-Party-Bewegung ebenso nach dem Mund wie in Fragen des Staates, den er als die Freiheit des Einzelnen bedrohenden Leviathan denunzierte. Den gelte es mit allen Mitteln – nicht zuletzt durch massive Steuersenkungen – zu schwächen.

Dass sich Romney jetzt von rechts außen ins politische Zentrum bewegen will, zeigte sich auch vergangenen Freitag, als er sich für seine berühmte Aussage über die „47 Prozent“, die keine Steuern zahlen, entschuldigte: Die sei „total falsch gewesen“, versicherte er jetzt.

Er hatte bekanntlich vor superreichen Gönnern diese 47 Prozent beschimpft: Die fühlten sich als Opfer, könnten keine persönliche Verantwortung für ihr Leben übernehmen und wählten ohnehin Obama. Bisher hat er die Skandal-Äußerungen, die geleakt worden waren, zwar als „unelegant formuliert“ relativiert, in der Substanz aber verteidigt. Jetzt geht er dazu auf volle Distanz.

Romney hat nichts Außergewöhnliches getan. Im Vorwahlkampf muss jeder Kandidat um die Parteikader und -aktivisten werben. Und die sind – in allen Parteien – ideologischer als die Wähler, auf die es dann im Hauptwahlkampf ankommt. Den gewinnt man in der Mitte. Dorthin muss jeder Kandidat rücken. Das Besondere an Romney ist, dass er so lange politisch am rechten Rand verharrte. Offenbar brauchte er die Zeit, um von der republikanischen Basis wirklich akzeptiert zu werden. Ja, er kürte noch Paul Ryan, den Helden der Tea Party, zu seinem Vize.

Jetzt hat der ehemalige Manager von Bain Capital die Reise zu den Wechselwählern angetreten. Romney ist wieder im Spiel. Anzunehmen, dass er in den kommenden Tagen demoskopisch wieder zulegt.

Ausschließen kann man zwar nicht, dass er nun doch Obama als Präsident ablösen wird, aber wahrscheinlich ist es nicht. Er dürfte zu spät den Weg ins politische Zentrum beschritten haben, zu einem Zeitpunkt, in dem sich sein negatives Image – auch als „Flip-Flopper“ – bereits verfestigt hat und sich die meisten Wähler schon entschieden haben.

Spannend werden die kommenden Wochen aber allemal. Den Journalisten kann das freuen. Als am weltpolitischen Geschehen interessierter Bürger muss man freilich hoffen, dass für Romney die abgedroschene Sentenz von Michail Gorbatschow gilt, wonach das Leben denjenigen bestraft, der zu spät kommt.

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