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Gernot Bauer über die Wien-Wahl: Die geteilte Stadt

Die Feinanalyse der Wahl zeigt große Verwerfungen in Wien.

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Zu den Leistungen von Michael Ludwig zählt es, die Wiener SPÖ geeint zu haben. Seinem Vorgänger Michael Häupl war die eigene Partei entglitten. Die Wiener SPÖ zerfiel in die „rechteren“ Arbeiter-Flächenbezirke mit Skepsis gegenüber einer liberalen Migrations- und Integrationspolitik und die „linkeren“ Bobo-Bezirke mit Multikulti-Ansatz innerhalb des Gürtels. Der linke Flügel war lauter, der rechte in der Überzahl. Bei der Kampfabstimmung 2018 um den SPÖ-Vorsitz schlug Ludwig seinen Bobo-Gegner Andreas Schieder deutlich.

Die Feinanalyse der Bezirksergebnisse der Gemeinderatswahl zeigt nun, dass die SPÖ nicht so geeint ist, wie es scheint. Ludwigs SPÖ gewann in den großen Flächenbezirken wie Favoriten, Simmering, Floridsdorf und Donaustadt überdurchschnittlich dazu. In den Bobo-Bezirken wie Wieden, Mariahilf, Neubau und Alsergrund (gewissermaßen die Schieder-Stadt) verlor die SPÖ durchgehend bis zu drei Prozentpunkte.

Ein ähnliches Bild zeigt sich für Gernot Blümel und die ÖVP. Die Volkspartei gewann in den Flächenbezirken stärker dazu als in den Bobo-Bezirken. Dies entspricht dem türkisen Kalkül der Stimmenmaximierung: In Transdanubien gibt es mehr frühere FPÖ-Stimmen zu holen als in bürgerlichen Bezirken liberale Stimmen zu verlieren.

Eine Erkenntnis aus dem Ergebnis von SPÖ und ÖVP lautet daher: Der sozioökonomische Riss, der durch die Stadt geht, ist tiefer als gedacht: auf der einen Seite weniger gebildete Bürger mit Zukunfts- und Abstiegsängsten und hoher Skepsis gegenüber Zuwanderern; auf der anderen besser gebildete Bürger mit (durch Corona relativierten) Optimismus. Der Riss wird durch die Pandemie eher tiefer. Bürgermeister Ludwig und sein nächster Vizebürgermeister werden viel zu tun haben, ihn zu kitten.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.