Leitartikel: Herbert Lackner

Herbert Lackner Her mit den CDs!

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Wir waren vergangenen Dienstag am Rande des Geburtstagsfests eines Wiener Bankers erst kurz zusammengestanden, als die Sprache auf das Reizthema dieser Tage kam. Die Meinung der Runde war ziemlich einhellig: Der Staat dürfe sich nicht auf die Ebene von Straftätern begeben und gestohlene Daten kaufen, auch wenn damit Steuerhinterzieher und Schwarzgeldbesitzer zu überführen sind. Die Teilnehmer der Diskussion waren übrigens jeglicher Sympathien für gesetzesbrecherische Finanzjongleure unverdächtig: Da standen etwa Sozialminister Rudolf Hundstorfer, die liberale Heide Schmidt und mein Kollege Michael Nikbakhsh, der sich – wie jeder profil-Leser weiß – hingebungsvoll der Jagd auf Raffzähne solchen Zuschnitts verschreibt. Aber ein Geschäft mit einem Datendieb zu machen – das dürfe der Staat nicht, meinten sie.
Ich vertrat als Einziger die Ansicht, er müsse dies sogar tun, solange es keine andere Möglichkeit gibt, die Schwarzgelddepots Reicher, Superreicher oder Großkrimineller (oder superreicher Großkrimineller) auszuheben – allein aus Gründen der Abschreckung.

Unsere Rechtsordnung gibt dem Staat diesbezüglich einigen Spielraum. In den weit rigideren USA wird etwa ein bei einem Täter gefundenes Beweismittel sofort ungültig, wenn das auffindende Staatsorgan nicht über einen Haussuchungsbefehl verfügt. Hierzulande darf sich der Staat im Ernstfall durchaus außerhalb der Rechtsordnung bewegen, um – nach entsprechender Güterabwägung – das gewünschte Ziel zu erreichen. Er darf Lösegeld an Entführer zahlen oder – wie im Fall der OPEC-Terroristen 1975 – die Täter laufen lassen, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Verdeckte Fahnder dürfen Heroin kaufen, um Dealer zu überführen, oder Ganoven am Wiener Gürtel mit der Zusicherung von Straffreiheit und kleinen Gaben dazu bringen, andere Ganoven zu verpfeifen. profil-Redakteur Alfred Worm deckte 1980 den AKH-Skandal auf, indem er ein Gespräch mit dem Haupttäter mit einem in der Aktentasche versteckten Gerät mitschnitt und die Abschrift veröffentlichte. Das war an sich strafbar. Dem Platzen von Skandalen geht fast immer ein Amtsmissbrauch voraus – wie kämen Journalisten sonst an die entscheidenden Akten?
Ein gutes Beispiel führt der Finanzrechtler Werner Doralt ins Treffen, der meint, der Staat sei zum Ankauf derartiger Daten geradezu verpflichtet: Schon derzeit komme es immer wieder vor, dass ein Mitarbeiter die getürkte Buchhaltung seines Chefs kopiert und sie den Steuerbehörden übergibt, argumentiert Doralt. Damit setze er ebenso eine strafbare Handlung wie jener Datendealer, der in der Schweiz die brisante CD gebrannt hat – und dennoch verwerten die österreichischen Behörden ohne Bedenken solche Informationen.
Diametral entgegengesetzt argumentiert die Wiener Rechtsanwaltskammer: Sie meint, Österreich dürfe nicht einmal die von Deutschland gratis gelieferten Dateien über heimische Steuerhinterzieher verwenden. Logisch weitergedacht heißt das: Die Behörden wissen dann zwar, dass die Herren X, Y oder Z gewaltige Beträge dubioser Herkunft unversteuert auf ein Schweizer Konto verbrachten – unternehmen dürften sie dagegen aber nichts. Und das würde den Glauben an den Rechtsstaat stärken?

Ein solcher Datenkauf ließe sich außerdem gesetzlich leicht legalisieren. Schließlich werden auf Wunsch der EU demnächst selbst die Facebook-, Internet- und E-Mail-Kontakte aller Europäer zwischen 14 und 94 per Gesetz gespeichert. Bloß die Daten der Steuerschwindler sollen sakrosankt bleiben?

Ein Teilnehmer unserer Debatte am Rande des Banker-Geburtstags – ein prominenter Wiener Steuerberater – argumentierte, viele Menschen würden nach den düsteren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts ihren eigenen Staaten eben nicht mehr vertrauen: Zürich sei schon damals ein sichererer Parkplatz für Vermögen gewesen als Berlin oder Wien.
Solche Fälle, in denen wohlerworbenes und korrekt versteuertes Geld in der Schweiz zum selben Kapitalertragsteuersatz wie in Österreich (25 Prozent) angelegt wird, gibt es durchaus. Aber es gibt auch die Meischbergers, die den Reibach aus einem krummen Deal über Zypern und einen karibischen Briefkasten auf Geheimkonten in Liechtenstein oder in der Schweiz bunkern – alles absolut steuerschonend.

Dennoch ist das Dealen mit Datenjägern nur die zweitbeste Lösung. Besser wäre die konsequente Ächtung von Staaten, die Finanzverbrechen Vorschub leisten. In der Schweiz haben ausländische Kunden die kaum vorstellbare Summe von 1,9 Billionen Euro abgelegt – etwa das Jahresbudget der Vereinigten Staaten. Der Reichtum der Schweiz beruht in nicht geringem Ausmaß auf dem Betrug ihrer Bankkunden an deren Herkunftsländern.
Wer also handelt unmoralischer: Deutschland, das durch den Kauf eines Beweismittels solche Praktiken abstellen will, oder die Schweiz, deren Banken ihnen Vorschub leisten? Roger Köppel, Chefredakteur der einst angesehenen und heute auf rabiat-nationalistischem Kurs segelnden Züricher „Weltwoche“, schlug vergangene Woche vor, die Schweiz solle alle deutschen Minister, die die Grenze überschreiten, umgehend verhaften.
Haft für die Aufdecker, Freiheit den Tätern. Das passt ins Bild.

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