Herbert Lackner: Man darf parteilich sein

Herbert Lackner: Man darf parteilich sein

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Viel zu selten findet Rosemarie Schwaigers famose Arbeit so viel Aufmerksamkeit wie ihr Nachwahl-Stück „Die vierte Ohnmacht“ (erschienen in profil 43/2015). Dutzendfach auf Facebook geteilt, massenhaft auf Twitter gepostet und immer wieder in Leitartikeln zitiert, hat meine Kollegin darin mit der eigenen Branche abgerechnet: Ermutigt von windiger Meinungsforschung, hätten Tageszeitungen und Magazine – profil schließt sie da ein – im Wiener Gemeinderatswahlkampf „den politischen Notstand ausgerufen“ und „die Angstlust vor einer Machtübernahme der FPÖ“ sogar genossen.

Dies alles, führt Rosemarie Schwaiger in ihrer Abrechnung weiter aus, habe vor allem der Wiener SPÖ genützt, aber auch die Freiheitlichen hätten von dieser „extremen Zuspitzung“ profitiert. Alles in allem: Politikjournalisten hätten in diesem Wahlkampf „die professionelle Distanz verloren“.

Was man auch so lesen kann: Naive Journalisten seien womöglich von Parteien ausgeschickten Demoskopen auf den Leim gegangen und hätten – sich gegenseitig hysterisierend – ein Duell herbeigeschrieben, das es so nie gegeben habe. Sie hätten damit Parteilichkeit an den Tag gelegt und gegen eherne Grundsätze dieser Branche verstoßen. Ich halte diesen Befund für grundfalsch.

Aufklärerischer Journalismus muss gegen Hetzer und Verleumder auftreten.

Faktum ist: Die SPÖ stagnierte in Umfragen mit hohem Sample und geringer Schwankungsbreite ein Jahr vor den Wahlen bei 34 bis 35 Prozent und lag damit rund fünf Prozentpunkte hinter dem Wahlergebnis vom 11. Oktober. Dass die im Sommer ausgebrochene Flüchtlingskrise überdies vor allem der FPÖ nützen würde, war Common Sense. Einen eindrucksvollen Beleg dafür lieferte die allergrößte „Umfrage“ vor dem Wiener Urnengang, die oberösterreichische Landtagswahl Ende September. Die Regierungspartei ÖVP verlor zehn Prozentpunkte, die FPÖ gewann 15 hinzu – weit mehr, als die meisten Meinungsforscher prognostiziert hatten. Eine auch nur ansatzweise ähnliche Dynamik in Wien hätte die Freiheitlichen in der Bundeshauptstadt zur mit Abstand stärksten Partei gemacht. Das kann man wollen. Ich und viele andere wollen das nicht.

Dass die Wahl in Wien schließlich anders ausging als jene in Oberösterreich, ist die Folge eines riskanten Schachzugs von Michael Häupl. Seine Partei nahm von Beginn an die Gegenposition zur FPÖ ein: Wien beherbergt mehr Flüchtlinge, als es laut Quote müsste; der Bürgermeister ließ alle unbegleiteten Jugendlichen aus Traiskirchen in die Stadt bringen und signalisierte Standfestigkeit.

Häupl gab damit trotz emsiger Hausbesuche des roten Funktionärsapparats den „Gemeindebau“ de facto auf; er machte keine politischen Zugeständnisse an auch in weiten Kreisen der Sozialdemokraten aufbrechende Stimmungen. Das konnte sehr schiefgehen.

Die Wahlen in Oberösterreich brachten die Wende: Viele potenzielle Wähler der Grünen und der ÖVP, aber auch bemerkenswert viele ehemalige Nicht-Wähler, entschlossen sich in den letzten zwei Wochen vor dem Wahltag in Wien, eine taktische Stimme für die SPÖ abzugeben, was manchen aufgrund der Haltung der SPÖ in der Flüchtlingsfrage leichter fiel als früher.

Meinungsforschung, Medien und Parteien bekamen diese Dynamik nicht mehr wirklich mit. Niemand war am Wahlabend überraschter als die SPÖ selbst.

So gelesen sieht die Sache schon anders aus als in Rosemarie Schwaigers Darstellung: Gar so viel zuspitzen musste man da nicht.

Nun kann man wie sie der Meinung sein, Medien sollten derartige Wahlkämpfe viel gelassener begleiten: „Gezeigt haben wir, wie gut wir aus einer Mücke einen Elefanten machen können“, schreibt die Autorin. Ich kann diesen Aufruf zum Gleichmut nicht teilen.

Denn leider ist der Vormarsch von Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus in Europa keine „Mücke“ mehr. Nationalistische, rassistische, europafeindliche und homophobe Parteien legen in fast allen Ländern stark zu, in einigen sind sie bereits Nummer eins. Damit greifen in der schwierigsten Phase dieses Kontinents seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Kräfte in die Ruder, denen es an Besonnenheit, Großmut und Toleranz mangelt, ja die sogar mit der Verhöhnung dieser Eigenschaften ihr politisches Geschäft machen. Das ist in hohem Maß beunruhigend. Die Vorstellung, dass ein Drittel meiner Wiener Mitbürger die Welt so sieht wie Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, irritiert mich; der Gedanke, es könnte eine Mehrheit sein, ist schwer zu ertragen.

Natürlich kann man das „parteilich“ nennen, aber so parteilich müssen Journalisten schon sein dürfen, alles andere wäre Beliebigkeit. Wo gehetzt und verleumdet wird, muss aufklärerischer Journalismus gegen die Hetzer und Verleumder auftreten, sonst verliert er seinen Sinn.