Ich bin ein Sportnarr
1. Ich möchte in keiner undemokratischen Gesellschaft voller Vorurteile leben, in der man aufgrund seiner Meinung oder Herkunft diskriminiert wird. Beim Sport aber zählt als Ersteindruck von Mitmenschen, zu wem er oder sie beim Fußball hält. Ich habe Österreichs balltretende Helden beim Kantersieg gegen San Marino und dem Desaster gegen Rumänien „bejubeljammert“, bloß weil sie zufällig dasselbe Geburtsland haben.
2. Wenn das kleine Österreich den großen Bruder Piefkinesien schlägt, juble ich. Am liebsten halte ich zu allen, die gegen Deutschland spielen. Echt jetzt? Auch als 1990 das Restjugoslawien des massenmörderischen Diktators Slobodan Milošević den germanischen WM-Titel verhindern hätte können? Der französische Schriftsteller Romain Gary meinte treffend, Patriotismus sei Liebe zu den Seinen und Nationalismus Hass auf die anderen. Sportliche Schlachtgesänge sind oft Letzteres.
3. Herbert Prohaska – wir schätzen uns, der Höhepunkt meines Möchtegern-Sportreporter-Daseins war eine gemeinsame EURO-Analyse im Fernsehstudio – hält mich für unpatriotisch. Nur weil ich zu Spanien halte, sobald etwas mit Bällen zu tun hat. Von der kickenden „la furia roja“ bis zum FC Barcelona, dessen Buchhaltung ein Paradies für die Finanzpolizei sein dürfte. Ich war der Österreicher, welcher den 27. März 1999 nicht als furchtbar schlimm empfand. Da verlor unsere Nationalmannschaft mit Trainer Herbert in Valencia 0:9.
4. Sportlerinterviews münze ich in politische Kommentare um. Verteidiger Anton Pfeffer wurde damals doof gefragt, was er zum Pausenstand von 0:5 meine. Er replizierte genial: „Hoch werd’ ma’s nimmer g’winna!“ Im Präsidentschaftswahlkampf 2016 sollte ich mich zu den Wahlchancen von Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Andreas Khol (ÖVP) äußern. Ich mache nie Zahlenprognosen für ein Wahlergebnis, wollte aber angesichts ihres erwartbaren Debakels nicht nichts sagen. Also zitierte ich in der „ZIB 2“ Herrn Pfeffer. Toni sagte mir später, dass er davon begeistert war.
5. Ich schaue mir Formel-1-Rennen an, obwohl meine umweltpolitische Intelligenz dagegen spricht. In einer TV-Diskussionssendung verglich Ex-ÖVP-Politiker Bernhard Görg Sebastian Kurz mit Ayrton Senna. Dynamisch und offensiv und alle schlagend. Wenn Senna im Rückspiegel auftauchte, hätten die Gegner aufgegeben. So sehr fürchteten sie ihn. Meine Antwort: „Senna ist tot. In Imola 1994 mit 300 Stundenkilometern gegen die Mauer gekracht. Was wollen Sie uns mit Ihrem Vergleich sagen?“
6. Fair war das nicht. Doch wie ist das mit der Fairness im Sport? Spaniens Basketballer gewannen bei den Paralympischen Spielen 2000 die Goldmedaille, wobei zehn der zwölf Teammitglieder keine Beeinträchtigung hatten. In Mexico City wurden 2023 11.000 Teilnehmer des Marathons disqualifiziert. Sie kürzten ab, fuhren Fahrrad oder nahmen die U-Bahn.
7. Ich bewundere Kenias Marathonläufer, obwohl Fabel-weltrekordlerin Ruth Chepngetich mit Dopingdrogen vollgepumpt war. Für 2026 sehne ich herbei, dass Jonas Vingegaard, Mathieu van der Poel und Wout van Aert einen gewissen Tadej Pogačar auf dem Fahrrad zur Schnecke machen. Zugleich verdränge ich, dass sich da womöglich wandelnde Apotheken duellieren.
8. Ich missachte – trotz meiner Lippenbekenntnisse für einen höheren Frauenanteil in allen Bereichen – als Sportreporter sogar die Geschlechtergerechtigkeit und schreibe zu viel über Männer. Dabei war Englands Sieg bei der Frauen-EM 2022 gegen unseren Lieblingsnachbarn das meistgesehene Fußballspiel des Jahres im deutschen Fernsehen. Das Singen von „Sweet Caroline“ im bummvollen Wembley-Stadion löste Gänsehaut pur aus. So good!
9. Ach ja, und können Sie sich vorstellen, dass ich den Nationalratswahlkampf analysiere, wenn meine Partnerin Spitzenkandidatin einer Partei wäre? Das wäre die klassische Unvereinbarkeit. Doch habe ich im ORF 2024 den Marathon in Linz live kommentiert, als besagte Frau österreichische Staatsmeisterin wurde. Mehr Befangenheit geht nicht.
10. Ob ich für all das und das Wagnis dieser Sportkolumne eine Entschuldigung habe? Nicht wirklich. Aber ich bin eben ein Sportnarr.