Leitartikel

Männer, bitte weint auch einmal

Femizide sind oft Machtkämpfe, die einseitig brutal beendet werden. Buben müssen lernen, dass man nicht um jeden Preis gewinnen darf – und Niederlagen einzugestehen heilend sein kann.

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Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist die am weitesten verbreitete Menschenrechtsverletzung. 2022 wurde wieder ein neuer, trauriger Weltrekord aufgestellt: 48.800 Frauen und Mädchen wurden durch nahe Angehörige wie Partner, Väter oder Brüder getötet. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher. In Österreich weist die Statistik für das Jahr 2023 insgesamt 29 weibliche Mordopfer aus. Österreich ist das einzige Land in der EU, in dem mehr Frauen als Männer durch Männerhand getötet werden.

Jede dritte Frau in Österreich war schon einmal von Gewalt betroffen. Vergangene Woche wurden allein in Wien fünf Femizide innerhalb von 24 Stunden begangen. Das ist genau so viel wie im gesamten Jahr davor. Jeder dieser Morde hat seine eigene, ganz persönliche Geschichte, die auch als solche betrachtet werden muss. Am Ende gibt es trotz aller gebotenen Differenzierung doch eine nicht zu leugnende Gemeinsamkeit: Diese Verbrechen wurden von einem Mann verübt.

Der Staat hat für die Opfer einen ganzen Setzkasten an Gewaltschutzmöglichkeiten von Hotlines bis Frauenhäuser. Dieses Netz muss weiter ausgebaut und gestärkt werden. Auch auf der Täterseite muss viel mehr getan werden. Es gibt Strafen – aber viel zu wenig Prävention und Programme für Gewalttäter.

Österreich ist das einzige Land in der EU, in dem mehr Frauen als Männer durch Männerhand 
getötet werden.

Was sind das für Männer? Was geht in ihnen vor? Das Institut für Konfliktforschung hat in einer aktuellen Studie statistische Daten erhoben: In 75 Prozent der Fälle sind die Partner die Täter. Bei 30 Prozent der Morde war demnach Trennung ausschlaggebend. In weiteren 30 Prozent der Fälle gab es eine teils jahrelange Gewaltvorgeschichte. Rund ein Viertel der Opfer hatte den gewalttätigen Partner bereits angezeigt. Bei fast der Hälfte aller Täter kommt eine psychische Erkrankung dazu. 

72 Prozent waren laut dieser Studie österreichische Staatsbürger – 19 Prozent Bürger aus Drittstaaten. Sie sind gemessen an der Gesamtbevölkerung überrepräsentiert

Aber all diese Mörder sind vor allem eines: gekränkte Seelen. Sie fühlten sich weggestoßen, verlassen oder sind rasend eifersüchtig. Ihre Gefühlswelt, eine verbohrte, verhärmte. Forscht man in den Geschichten dieser Morde, so finden sich darin nur allzu oft basserstaunte Angehörige, Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen. Von den Abgründen, die sich zu Hause auftaten, hatten sie keine Ahnung. 

Das ist auch im Fall jenes anerkannten Managers so, der seine Frau und seine 13-jährige Tochter vor wenigen Tagen in der gemeinsamen Wohnung im dritten Wiener Gemeindebezirk erwürgte. Er ging nach einer Woche Urlaub in die Arbeit, war vielleicht etwas stiller als sonst. Seine Frau und sein Kind waren auf einem Skiurlaub, den er ausgelassen hatte. Er sah etwas abgemagert aus. Ein wenig Besorgnis kam bei feinfühligen Arbeitskollegen schon hoch – aber was sich bereits zu diesem Zeitpunkt im Inneren dieses Mannes abgespielte, das erahnte niemand. 

Der Grund dafür ist sehr banal: Der Mann hat nicht darüber gesprochen. Er hat seine Gefühle nicht gezeigt, nicht geteilt. Und wollte offenbar gegenüber anderen nicht eingestehen, dass er schwerwiegende Probleme hatte – und Hilfe bräuchte, um damit klarzukommen.

Das ist kein unübliches, männliches Verhaltensmuster. Es ist genauer gesagt das, was Männern von Kindesbeinen an beigebracht wird: Sei stark, weine nicht, lass dir nichts anmerken – lass dir auch nichts gefallen. Mit diesen Klischees zu brechen, das ist der Teil der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung, die wir alle tragen, wenn wir über die dringend notwendige Prävention von Femiziden sprechen. Buben und Männer müssen lernen, dass es manchmal gut und heilend sein kann, Schwäche zu zeigen. 

Sie müssen lernen, zu reden – auch miteinander zu sprechen. Nur dann können durch Trost und Mutmachen tiefe seelische Wunden heilen. Sie könnten füreinander auch ein wichtiges Korrektiv sein, wenn es notwendig wird, weil etwas aus dem Ruder läuft. Wer ein Auge auf Missstände hat – auch seelischer Natur – kann eingreifen und aktiv dazu beitragen, Gewalttaten zu verhindern.

Was Buben noch dringend von Kindheit an lernen sollten: Man muss nicht immer um jeden Preis gewinnen. Denn nichts anderes sind Femizide wohl in vielen Fällen: Ein Machtkampf, der von Männern manchmal nur allzu brutal beendet wird, bevor man sich eine bittere Niederlage eingestehen müsste. 

Wer das nicht schafft, verliert zum Schluss alles, wie der traurige Fall des Managers zeigt. Frau und Kind verloren ihr Leben – und er richtete sich am Ende des Tages selbst. Man fand ihn tot in Slowenien.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.