Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Kriegskinder

Kriegskinder

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Seit der Nobelpreis verliehen wird, stößt fast jedes Jahr die Entscheidung des Osloer Preiskomitees auf vielfältige Kritik. Dieses Jahr wird sich diese wohl in Grenzen halten. Wer kann schon etwas dagegen haben, wenn die 17-jährige Pakistani Malala Yousafzai und der 60-jährige Inder Kailash Satyarthi geehrt werden, die sich beide mutig für Kinderrechte einsetzen.
Malala, die bisher jüngste Nobelpreisträgerin, hat ihr Engagement – für das sie 2012 von profil zum „Mensch des Jahres“ gewählt wurde – bekanntlich fast mit dem Leben bezahlt, als ihr von Taliban in den Kopf geschossen wurde, um jene Mädchenstimme zum Verstummen zu bringen, die immer lauter den Islamistenterror angeprangert hatte, der verhindern will, dass Mädchen zur Schule gehen.

Es ist ein schöner Zufall, dass am Tag, als Malala der Anruf aus Oslo erreichte, die pakistanische Armee – spät aber doch – jene zehn Taliban festnahm, die vor zwei Jahren das Attentat auf sie geplant und verübt hatten.

Während Malala inzwischen fast zur internationalen Ikone geworden ist, kennen Kailash Satyarthi selbst in Indien nur wenige. Er habe in der Tradition von Gandhi jahrelang unermüdlich gegen Kinderarbeit und -handel, gegen Unterdrückung und Ausbeutung junger Menschen gearbeitet. So begründet das Komitee seine Entscheidung. Zudem sei die Auszeichnung an eine Muslimin und einen Hindu, an Staatsbürger der zwei ewig verfeindeter Nationen Pakistan und Indien, ein starkes Signal.

Und doch: Hätten sich in diesem so unfriedlichen Jahr – man denke nur an Syrien, Irak, Ukraine – nicht Preisträger finden lassen, die einen direkteren Bezug zu den aktuellen kriegerischen Ereignissen haben?

Gewiss: Malala, die junge Kopftuchträgerin aus dem pakistanischen Svattal, steht nicht zuletzt auch für den Kampf gemäßigter Muslime gegen den islamistischen Radikalismus, der gerade in Gestalt der IS-Terroristen mit ihren schwarzen Fahnen sein mörderisches Unwesen treibt.

Aber die Frage bleibt: Wer sind in der neuen und gefährlichen Unübersichtlichkeit, die wir derzeit erleben, die Guten und wer die Bösen, wer die Friedensstifter und wer die Kriegstreiber? Wer wäre also ein der Aktualität einer aus den Fugen geratenen Welt angemessener Preisträger? Das ist so einfach nicht zu beantworten.

Im Vorfeld der Osloer Entscheidung gab es auch vereinzelt den Vorschlag, angesichts der so martialischen Zustände des Jahres 2014 von einer Auszeichnung abzusehen. Das hat Oslo schon einmal getan: 1972, als der Vietnamkrieg seinen Höhepunkt erreicht hatte.

Aus gegebenem Anlass sei auch erwähnt, dass der norwegischen Staatsanwaltschaft seit April dieses Jahres eine Strafanzeige gegen das Preiskomitee wegen „ungesetzlicher Verwaltung“ des Preises vorliegt. Eingebracht hat die Klage der Osloer Fredrik F. Heffermehl und eine Gruppe von Universitätsprofessoren und Juristen. Auch eine Grünpolitikerin ist dabei. Der Kern ihrer Argumentation: Der Dynamit-Erfinder Alfred Nobel habe einen „Preis der Friedensverfechter“ begründet, der diese auch ökonomisch in ihrem Kampf für eine globale Abschaffung des Militärs unterstützen sollte. Das Nobelkomitee unterschlage und veruntreue das Stiftungsvermögen, weil ihre Vergabepraxis den Willen des Stifters grob missachte.

Zu Ehren kamen in den vergangenen Jahren – so monieren die Kritiker: Feministinnen, Öko-Aktivisten, Guerilla-Führer, Bürgerrechtler, Armutsbekämpfer, demokratische Oppositionelle und deren Organisationen. Da werde der Friedensbegriff so weit ausgedehnt, dass man „Nobels Vision vollständig aus den Augen verloren“ habe. Und besonders erbost sind Heffermehl und Co., dass auch Politiker wie Barack Obama, die nicht in allen Fällen militärisches Vorgehen ablehnen, ausgezeichnet werden.
Die Kläger werden mit ihrer Anzeige nicht durchkommen. Sie sollten außerdem wissen: 1906, also bereits zehn Jahre nach Nobels Tod, erhielt ein überaus kriegerischer US-Präsident, Theodore Roosevelt, den Preis – er hatte im russisch-japanischen Krieg vermittelt. Und dass der zeitbedingt naive Pazifismus, der Nobel motiviert haben mag, kein taugliches Konzept ist, hat nicht zuletzt der Zweite Weltkrieg gezeigt. Die furchtbaren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und die Ergebnisse der Kriegsursachenforschung machen deutlich, dass eine zu enge Friedensdefinition der Realität nicht angemessen ist.

Am Beispiel der Kinderrechte, die im Mittelpunkt der Friedensnobelpreisvergabe 2014 stehen, wird das deutlich. Alle Studien der vergangenen Jahre demonstrieren klar: Der wichtigste Faktor für die Entwicklung von Gesellschaften ist die Skolarisierung der Kinder – allen voran die Einschulung der Mädchen. Die ist geradezu ein Hebel für Entwicklung. Ist diese aber blockiert, sind die Weichen in Richtung Krieg gestellt. Mannigfaltige Untersuchungen haben zudem nachgewiesen, dass geschlagene Kinder als Erwachsene um vieles gewaltbereiter sind als andere. Auch das Recht der Kinder, nicht misshandelt zu werden, ist so letzten Endes zentral für Kriegsvermeidung.

So gesehen haben die wunderbare Malala und der engagierte Kinderrechtler Satyarthi mit Sicherheit mehr für den von Alfred Nobel ersehnten Frieden geleistet als so mancher Friedenskongress und alle pazifistischen Organisationen zusammen. In diesem Sinn sei den Preisträgern 2014 aus vollem Herzen gratuliert.

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