Martin Staudinger: Alt, weiß, zornig sucht …

Martin Staudinger: Alt, weiß, zornig sucht …

Martin Staudinger: Alt, weiß, zornig sucht …

Drucken

Schriftgröße

Kennen Sie den? Pullover mit Karomuster, Aktenkoffer, Kopfschuppen auf schlecht sitzenden Anzugschultern, Typ: verbiesterter HTL-Ingenieur. Oder den? Sorgsam onduliertes Silberhaar, Tweed-Sakko, blasierter Blick, Typ: in die Jahre gekommener Unternehmer. Oder gar den? Lodenmantel, Schnauzer, selbsttönende Brille, Typ: Sektionschef im Ruhestand.

Klar kennen Sie einen von denen, vermutlich aber alle; zumindest als Klischees zu einem derzeit besonders beliebten Feindbild – dem weißen Mann, der als Akkumulation seiner Unterkategorien alt, zornig und heterosexuell schon qua Existenz schuldhaft in alle Übel verstrickt ist, von denen die Menschheit seit ihrer Entstehung heimgesucht wurde: Krieg und Klimawandel; Rassismus und Sexismus; Ausbeutung der Kolonialstaaten und Rekordzahlen bei der Neuanmeldung von SUVs, um nur einige zu nennen.

Und jetzt auch noch: Vormarsch des Rechtspopulismus.

Das muss man erst einmal zuwege bringen, weshalb das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ dem Phänomen im Hinblick auf die fremden-, islam- und europafeindliche AfD (Alternative für Deutschland) kürzlich sogar eine Titelgeschichte samt gewiss bedachtsam gewählten psychologischen Erklärungsansätzen gewidmet hat. „In nahezu allen westlichen Demokratien ist es bevorzugt eine Gruppe, die ihren Frust und ihre Ressentiments in solchen politischen Extremen austobt, nämlich jene, die einst unangefochten die Welt beherrschte: weiße Männer in den besten Jahren“, stand dort unter anderem zu lesen. Inzwischen würden sie jedoch von allen Seiten durch Frauen, Dunkelhäutige und Kulturfremde bedrängt: „Und dann kommt eine Frau, die Bundeskanzlerin, und forderte diese ohnehin schon gestresste Gruppe noch heraus, indem sie viele ganz junge Männer aus noch einmal ganz anderen Kulturkreisen ins Land lässt.“

Das wollen Sie nicht glauben, weil bei der AfD die Funktionärinnen immer noch in der Minderheit sind?

Angesichts dieser luzide formulierten Kausalkette, auf die nicht nur der „Spiegel“ gestoßen ist, sondern auch andere Qualitätsmedien, verbieten sich Zweifel von selbst. Eine Partei mir nichts, dir nichts von der Randständigkeit in den Umfragen auf zuletzt bundesweit auf 13 und in einzelnen Ländern bis zu 17 Prozent (konkret in Sachsen-Anhalt) hochzujagen – so etwas ist nur dem weißen, alten, zornigen Mann zuzutrauen.

Da störte es auch nicht weiter, dass auf dem Titelbild Frauke Petry zu sehen war, seit vergangenem Jahr die Chefin der AfD und jene Frau, die (wie auch ihre Stellvertreterin Beatrix von Storch) notfalls sogar auf Flüchtlinge schießen lassen würde. Noch nie ist die Partei so gut dagestanden wie unter ihrer Führung. Das liegt nicht nur an der Themenkonjunktur durch die Flüchtlingskrise, sondern auch daran, dass der weiße, alte, zornige Rechtspopulismus immer stärkeren Zulauf gewinnt – und zwar durch weibliche Wähler.

Das wollen Sie nicht glauben, weil bei der AfD die Funktionärinnen immer noch in der Minderheit sind? Und weil einer aktuellen Umfrage zufolge nur zwei Prozent der Frauen, aber 17 Prozent der Männer in Deutschland ihre Stimme der Petry-Partei geben würden? Abgesehen davon, dass das Sample der Meinungsforscher dabei nur rund 100 AfD-Fans auswies: Die Ergebnisse bereits geschlagener Wahlen zeichnen ein anderes Bild. In Thüringen, Brandenburg, Sachsen, Hamburg und Bremen waren bereits knapp 40 Prozent des Elektorats der AfD weiblich. Diese Zahlen passen zu Umfragedaten, nach denen sich im Segment der unter 50-Jährigen 19 Prozent der Männer vorstellen können, für Rechtsaußen zu votieren – und 14 Prozent der Frauen. In Österreich, wo der Rechtspopulismus die Mutation vom Nischen- zum Massenphänomen schon vor 20 Jahren vollzogen hat, ist das Verhältnis ähnlich: Rund ein Drittel der FPÖ-Wähler sind Frauen. Schon klar, das ist immer noch weniger als die Hälfte.

Die Zeiten, in denen viele Klischees über den weißen, alten, zornigen Mann tatsächlich zutreffend waren, sind vorbei.

Aber dass der Plafond damit noch lange nicht erreicht ist, zeigt sich in Frankreich: Dort gewann der Front National (FN) die vergangenen EU-Wahlen mit einem faktischen Gleichgewicht zwischen männlichen (26 Prozent) und weiblichen (24 Prozent) Stimmen. Zuvor hatte FN-Chefin Marine Le Pen ostentativ mit dem Parteigründer, ihrem Vater Jean-Marie – einem fast rührend idealtypischen alten, zornigen, weißen Mann – gebrochen, seinen Kurs jedoch mit freundlicherem Gesicht beibehalten. Aktuell liegt der FN in Umfragen vor den regierenden Sozialisten auf Platz zwei. Und in Polen hat die verschmockt rechte Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit Beata Szydło an der Spitze gerade einen Wahltriumph gefeiert.

All das geht sich alleine mit weißen, alten, zornigen Männern schon zahlenmäßig nicht aus: einerseits, weil diese nicht endlos nachwachsen, andererseits, weil sich bei Weitem nicht alle von ihnen verlässlich feindbildkonform verhalten. Papst Franziskus, US-Präsidentschaftsanwärter Bernie Sanders und der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn sind auch weiß, alt und zornig, mutmaßlich hetero und Karomuster-Pullovern eventuell aufgeschlossen, würden aber kaum AfD wählen oder gegen Flüchtlinge hetzen.

Die Zeiten, in denen viele Klischees über den weißen, alten, zornigen Mann tatsächlich zutreffend waren, sind vorbei – und mit ihnen auch sein unangefochtener Führungsanspruch beim Rechtspopulismus. Deshalb wird es als Strategie gegen AfD, FN, FPÖ und all die anderen nicht ausreichen, sich ewig mit der rituellen Verhöhnung eines liebgewonnenen, aber überkommenen Feindbildes zu amüsieren.