Robert Treichler

Ohne uns

Das Militärbündnis Aukus stellt sich gegen China. Warum spielt Europa keine Rolle?

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Es ist eine Geschichte, die jedes Kind versteht: Drei Freunde tun sich zusammen und hecken gemeinsam etwas aus. Ein Vierter, der     dachte, er wäre immer dabei, muss plötzlich feststellen, dass das neue Spiel ohne ihn stattfindet. Also ist er sauer. Das Dumme an der Geschichte: Der Vierte ist Europa – also wir.


Die drei haben sich ein klingendes Akronym ausgedacht, um ihre Zusammengehörigkeit deutlich zu machen: „Aukus“. Das „A“ steht für Australien, „UK“ für das Vereinigte Königreich und „US“ für die USA. Aukus ist ein Militärbündnis, an dem die drei beteiligten Staaten monatelang im Verborgenen gefeilt haben, ehe sie es vor einer Woche öffentlich machten. Dahinter steckt eine enorme geopolitische Entscheidung. Aukus will China im Indopazifik – der Region des nördlichen Indischen Ozeans und des westlichen Pazifiks – militärisch entgegentreten. Washington sieht ebenda die Herausforderung der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Diese Weltsicht hat bereits US-Präsident Joe Bidens Vorvorgänger Barack Obama verfochten, und nun wird sie in die militärische Realität umgesetzt.
Afghanistan ist vergessen, der Irak und Syrien bestenfalls Nebenschauplätze, alle Augen sind auf China gerichtet. Diese Entwicklung ist überfällig, denn Peking hat sich in der Region militärisch bereits sehr breitgemacht. Entwarnung: Das heißt nicht, dass die beiden Seiten zu einem Krieg rüsten, doch geopolitisch hat nur der einen Auftritt, der mächtige Waffen im Halfter hat.


Ein Bündnis wie Aukus ist mehr als bloß das Zusammenlegen von Waffenkapazitäten. Die drei Staaten teilen fortan miteinander ihre besten – und geheimsten – Technologien und Informationen. Cyber-Kriegsführung, künstliche Intelligenz, Waffentechnik, Geheimdiensterkenntnisse – all das wird zwischen Washington, London und Canberra hin- und hergereicht.

Das plakativste Opfer dieses Deals ist Frankreich, das wie ein begossener Pudel dasteht, weil Australien einen Vertrag über den Kauf französischer U-Boote im Wert von mindestens 35 Milliarden Euro storniert hat, um sich stattdessen mit US-Atom-U-Booten auszurüsten. Doch in Wahrheit steht die gesamte Europäische Union auf der Seife. Paris, Berlin, Brüssel spielen in den strategischen Überlegungen keine Rolle. Europa bleibt Verbündeter der USA, allerdings bestenfalls zweiter Klasse.


Das ist nebenbei auch ein Effekt des Brexit. Während Großbritannien von der „special relationship“ mit Washington profitiert, fehlt der EU jetzt dieser enge Kontakt.
Es rächt sich – wieder einmal –, dass Europa militärisch kein Player ist. Stattdessen bekommen die Europäer Streicheleinheiten von Joe Biden in Form von Telefonaten und Einladungen. Wie nett. Mitspielen dürfen sie nicht, aber gelegentlich mitplaudern.
Neben der EU hat Aukus auch die NATO dumm sterben lassen. Die betagte Tante aus dem Jahr 1949 wurde erst höflichkeitshalber informiert, als die Sache längst gelaufen war.
Aber was soll die Europäische Union tun? An dieser Stelle bietet sich der wohl geübte Stehsatz an, wonach die EU „endlich außen- und verteidigungspolitisch mit einer Stimme“ sprechen solle. Der ist, wie jeder weiß, nicht ehrlich. Die Wahrheit ist, dass Europa kein militärischer Player sein will. Alle bisherigen Anstrengungen waren halbherzige Pflichtübungen. Die „schnelle Eingreiftruppe“ ist nicht schnell, und sie greift nie ein.
Europäische Waffenkonzerne machen einander Konkurrenz, anstatt ihre Anstrengungen zu bündeln.


Die Regierungen der einzelnen Staaten wachen darüber, dass keine außen- und verteidigungspolitische Kompetenz die eigene Hauptstadt verlässt. Konzepte aus Zeiten des Kalten Krieges wie die Neutralität garantieren ewige Handlungsunfähigkeit.
Deutschland, als größter EU-Staat die logische Führungsmacht, scheut aus historischen Gründen eine Militarisierung.


Dazu kommt, dass die europäische Bevölkerung Rüstung für einen Spleen von Waffennarren und Kriegstreibern hält. Europa hingegen möge sich dank moralischer Überlegenheit in der Welt Geltung verschaffen. Wladimir Putin und Xi Jinping finden diesen Gedanken bestimmt allerliebst.

Es ist paradox. Die politische Freiheit in Europa ermöglicht es, ohne Rücksicht auf die Ansichten der Regierungen über die Sinnhaftigkeit einer echten europäischen Armee zu diskutieren, doch das geschieht nicht. Wir sehen, dass sich die Vorhersage erfüllt, wonach die Welt zusehends multipolar wird. China macht den USA den Platz der alleinigen Nummer eins streitig, Russland hat sich erstaunlich erfolgreich im Nahen Osten und Nordafrika etabliert. Und Europa?


Europa hat sich selbst darauf beschränkt, zu erdulden, was die anderen so treiben. Wenn Washington Afghanistan verlässt, muss Europa mit. Wenn sich Moskau in Syrien und Libyen einnistet, kann Europa das missbilligen, mehr nicht.


Aukus führt uns die europäische Ohnmacht erneut vor Augen. Der liegt ein Denkfehler zugrunde: Sich pazifistisch aus der militärisch begründeten Geopolitik rauszuhalten, befördert nicht den Frieden, sondern gibt anderen, militarisierten Mächten Gelegenheit zu tun, was immer sie für richtig halten. Ohne dass Europa auch nur „piep“ sagen kann.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur