Brüssel ist der größte Erfolg des IS

Peter Michael Lingens: Brüssel ist der größte Erfolg des IS

Es ist jetzt klar, dass er jede Metropole Europas lähmen kann. Ob ihm auch noch ein Anschlag gelingt ist zweitrangig.

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Global gesehen ist „Brüssel“ der bisher größte Erfolg des IS: Seine Leute mussten nicht einen einzigen Schuss abgeben um Europas Hauptstadt für Tage zu lähmen. Dazu kommt Verluste von hunderten Millionen für die belgische Wirtschaft und eine Medien- Präsenz, die um ein Werbebudget von Milliarden nicht zu erzielen gewesen wäre.

Es ist ganz gleich, ob die Terroristen jetzt auch noch zuzuschlagen vermögen oder umgekehrt gefasst werden – der IS hat auf jeden Fall gewonnen.

Wäre ich einer seiner Strategen – er hat weit bessere, denn an seinen Schaltstellen sitzen Spitzen-Militärs und Agenten Saddam Husseins, die an den besten Militärschulen des Westens in psychologischer Kriegsführung ausgebildet wurden – so forderte ich das Brüsseler -Terrorkommando auf, den geplanten Anschlag zu unterlassen, sich nach Frankreich oder Deutschland zurückzuziehen und vorerst ruhig abzuwarten. Es genügt völlig, wenn andere IS-Sympathisanten von Zeit zu Zeit in abgehörten Telefongesprächen den Eindruck erwecken, in dieser oder jener europäischen Metropole zuzuschlagen, um jede dieser Hauptstädte zu lähmen.

Nach einigen solchen getürkte Drohungen, die zu Fehlalarmen führen, werden die betroffenen Regierungen sie allerdings als Bluff einstufen und negieren: Sie werden (schon um die Bevölkerung nicht restlos gegen sich aufzubringen) nicht mehr den Ausnahmezustand verhängen, keine Truppen mehr konzentrieren, die Polizei nicht mehr in Alarmbereitschaft versetzen. Das wird der Augenblick sein, in dem das belgische oder ein anderes Kommando wieder ziemlich ungehindert erfolgreich zuschlagen kann.

Das Einzige, was relativ kurzfristig Erfolg hätte, wäre eine empfindliche, auf allen Fernsehkanälen eindrucksvoll dokumentierte militärische Niederlage des IS.

Ein erfolgreicher größerer Anschlag alle zwei bis drei Monate genügt völlig, Europa zu einen Kontinent zu verwandeln, in dem das öffentliche Leben erstaunlich mühsam wird: am Eingang zu Bahnhöfen, U-Bahnen, Stadien, Konzertsälen, Kontrollen wie bisher nur an Flughäfen. Natürlich überall, wie in London, Kameras. Und natürlich Speicherung und Weitergabe aller Daten. Für die Sicherheitsindustrie ein regelrechtes Konjunkturprogramm. Terror-bereite „Schläfer“ besitzt der IS in jedem Land zur Genüge: je schlechter wir moslemische Migrantenfamilien angesichts der ständigen Bedrohung im Namen Allahs behandeln, desto mehr werden es sein.

Der Kampf gegen eine noch so kleine Gruppe, die den Tod mit Vergnügen auf sich nimmt, ist für eine Gesellschaft, die den Tod unter allen Umständen vermeiden will, das wohl Schwierigste, das man sich vorstellen kann.

Theoretisch lautete das Rezept: Man muss vor allem moslemische Zuwanderer der zweiten Generation dringend vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg bewahren, und ihre Diskriminierung unter allem Umständen vermeiden. So ließe sich das Reservoir potentieller IS-Terrorosten langsam auszutrocknen. Praktisch hat das noch in keinem Land funktioniert. Es gelingt derzeit ja nicht einmal, der eingesessenen Bevölkerung Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg zu ersparen. Jede noch so nötige vermehrte Förderung der Zugewanderten erregt daher zwangsläufig die Aggression einheimischer Modernisierungsverlierer und ist damit politisch kaum durchzusetzen. Versuchen muss man es natürlich dennoch – aber es wird, wenn überhaupt, dann sicher nur langfristig funktionieren.

Kurzfristig erfolgreich scheint im ersten Moment ein Einvernehmen der Medien, erfolgreiche Attentate des IS zu verschweigen und ihn damit zumindest um den öffentlichen Erfolg zu bringen. Aber dieses Einvernehmen wäre erstens sehr schwer herzustellen– es fände sich immer ein Medium, das sich nicht an die Vereinbarung hielte und das mit seiner „öffentlichen Aufgabe“ begründete, auch wenn es ihm nur ums Geschäft ginge – aber vor allem wird „Öffentlichkeit“ heute übers Internet hergestellt: Der IS wäre kaum daran zu hindern, den Erfolg seiner Attentate Web-weit zu verbreiten und mit Videos zu dokumentieren.

Das Einzige, was meines Erachtens relativ kurzfristig einen gewissen Erfolg hätte, wäre eine empfindliche, auf allen Fernsehkanälen und im Netz eindrucksvoll dokumentierte militärische Niederlage des IS: Er verlöre damit einiges von seiner Strahlkraft und vor allem von seiner Anziehungskraft für „Verlierer“.

Womit ich bei meinem Credo der Vorwoche bin: Eine empfindliche militärische Niederlage setzt meines Erachtens den Einsatz von Bodentruppen voraus. Ihn muss Barack Obama und müssen alle europäischen Großmächte, einschließlich Russlands dringend organisieren, indem sie selbst einen kleinen Anteil einer internationalen Streitmacht stellen, die in ihrer Mehrheit aus Truppen arabischer Staaten besteht.